Fragezeichen vor EU-Chefrolle

Tschechien übernimmt für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft. Überschattet vom Krieg in der Ukraine, startet eine in ihrer Legitimität geschwächte Regierung mit großen politischen Versprechungen

Aus Prag Alexandra Mostyn

Einen Würfelzucker als Maskottchen hatte sich Tschechien gewählt, als es im Jahre 2009 zum ersten Mal die EU-Ratspräsidentschaft übernahm. Fünf Jahre nach dem vielbejubelten Beitritt des Landes zur Union versprach Tschechien, sie „versüßen zu wollen“. Die Idee von Europa als Kaffeehaus, in dem die Tschechen fürs Süße sorgen, endete in einer Kaffeefahrt über böhmische Dörfer. Kaum besaß Prag das Ratspräsidentschaftszepter, fiel die Regierung in einem absurden Intri­genstadl. Und viele wünschten sich, man hätte bei der Symbolik lieber eine andere nützliche böhmische Erfindung bemüht: die Schicht-Seife.

Jetzt darf Tschechien wieder. Pünktlich zum 1. Juli, wenn die Schulferien beginnen und das Land runterfährt, beginnt die tschechische EU-Ratspräsidentschaft 2.0. Ging es den Tschechen beim ersten Versuch noch um Imagepflege als mitteleuropäisches Zuckerschnäuzchen, sind die Prioritäten heute vom Krieg in der Ukraine bestimmt: Flüchtlingskrise bewältigen und Ukraine wieder aufbauen, die Energiezufuhr sichern, den europäischen Cyberspace schützen und dabei nicht nur die Wirtschaft stärken, sondern auch die Widerstandsfähigkeit demokratischer Institutionen.

Bestimmend für die Agenda, mit der Prag bis Jahresende die EU lenken will, ist die „russische Aggression“, die das „Programm der Ratspräsidentschaft“ wiederholt betont. Als Antwort auf die russische Aggression schlägt Prag mehr EU-Einsatz bei der Erhaltung der Souveränität der territorialen Integrität der Ukraine vor, wirbt für stärkere Sanktionen gegen Russland und mehr Waffen für die Ukraine. Solidarität, Effektivität und Flexibilität sei aber vor allem gefordert, um die Flüchtlingskrise zu bewältigen. Während Tschechien sich einerseits besonders für eine bessere Koordination von Gesundheitsvorsorge und Schulbildung einsetzen will, hat es sich ebenfalls zur Aufgabe seiner Ratspräsidentschaft gesetzt, den Wiederaufbau der Ukraine voranzutreiben.

Nicht nur der Krieg in der Ukraine, sondern die „wachsende globale Instabilität“ überhaupt hat die Rolle der Nato als Partner der EU neu definiert, was Tschechien in den kommenden sechs Monaten noch weiter bearbeiten möchte. Ob gemeinsame Militärsysteme oder Kampf gegen Klimawandel: Das tschechische Programm für die EU-Ratspräsidentschaft besteht aus vielen guten Vorsätzen, Ideen und Versprechen, überschattet eben von „russischer Aggression“.

Tschechien wähnt die Demokratie in Gefahr. Deshalb setzt „die Tschechische Ratspräsidentschaft auch auf Einhaltung und Stärkung von Freiheiten und europäischen Werten“, verspricht das Programm. Wer bestimmt, was Freiheiten und europäische Werte sein sollen, lässt es dabei im Dunkeln. Im Land selbst hat die Regierung des konservativen Ministerpräsidenten Petr Fiala mehrere Internetseiten abschalten lassen, die außerhalb eines normalen demokratischen Prozesses in Tschechien als demokratiefeindlich oder im Widerstreit mit europäischen Werten stehend eingestuft wurden. Doch im Licht der russischen Aggression verteidigte Fiala die umstrittene Maßnahme.

Ob der Fokus auf Russland und Außenpolitik von innenpolitischen Problemen ablenken kann, die Fialas Regierungskoalition plagen, bleibt abzuwarten. Nach dem Korruptionsskandal in der liberalkonservativen Partei Stan ist die Fünferkoalition in ihrer Legitimität geschwächt. Steigende Energie- und Lebensmittelpreise sagen der Regierung nicht unbedingt eine rosige Zukunft voraus.