Warum jetzt?

Frankreichs Präsident Macron wird zu Hause vor allem für den Zeitpunkt der Reise kritisiert

Aus Paris Rudolf Balmer

Musste das ausgerechnet jetzt sein, drei Tage vor entscheidenden Wahlen in Frankreich? Nicht nur die politischen Gegner des französischen Präsidenten Emmanuel Macron haben diese Frage zum Termin seines Ukraine-Besuchs gestellt. Auch manche seiner Anhänger, die am Sonntag für eine Wahl als Abgeordnete in der Nationalversammlung antreten, hätten sich eine direktere Unterstützung gewünscht.

Für Marine Le Pen vom rechtsextremen Rassemblement National instrumentalisiert Macron seinen „Status als Präsident“ für den Wahlkampf, er hätte sich „genauso gut vor einer Woche“ mit seinem ukrai­nischen Amtskollegen treffen können oder auf jeden Fall früher, wie dies sich Wolodimir Selenski ja auch immer wieder gewünscht hatte.

Ähnlich kritisierte auch der frühere EU-Kommissar Michel Barnier die Reise des Staatschefs. Der frühere Minister und Ex-Chef der französischen konservativen Oppositionspartei Les Républicains, Jean-François Copé, spricht bezüglich des Zeitpunkts von einer „unglaublichen Leichtfertigkeit“: „Es brennt im Haus, und Emmanuel Macron schaut anderswohin.“ Am Prinzip der Reise und der Ukraine-Politik des Staatschefs gibt es in Frankreich dagegen wenig Kritik, obwohl seine bisherigen Vermittlungsbemühungen per Telefon ziemlich erfolglos geblieben sind.

Macron muss bei seinem ersten Besuch in Kiew seit dem Kriegsbeginn bei seinem Gastgeber Selenski einige Missverständnisse und Unklarheiten ausräumen, weil er in den vergangen Wochen den ukrainischen Präsidenten, den er am Telefon als Gleichaltrigen angeblich kollegial duzt, mehrfach irritiert hatte. So weigerte sich Macron, wie US-Präsident Joe Biden von einem „Genozid“ in der Ukraine zu sprechen. Und vor allem hat seine Bemerkung, man müsse es „vermeiden, Russland zu demütigen“, verärgert. Dies wurde so interpretiert, dass Frankreich wünscht, die Ukraine müsse Konzessionen machen. Und bezüglich des Antrags auf eine EU-Mitgliedschaft schlug Macron eine andere Form der Partnerschaft in einer politischen Gemeinschaft vor. Außerdem erwartet Selenski raschere und massivere Entsendung von modernem Rüstungsmaterial. Wie andere in Europa war auch die französische Regierung schneller mit Versprechen als mit der Lieferung.