Schellfischtunnel in Hamburg: Den Fisch aufs Gleis gesetzt

Vor 30 Jahren wurde der Schellfischtunnel am Bahnhof Altona stillgelegt. Jetzt steht der einstige Fischtransportweg wieder für Besichtigungen offen.

Graphik eines Tunnels mit vier Schatten

Wieder Licht am Ende des Tunnels Foto: Sebastian König

HAMBURG taz | Der Eingang zum Schellfischtunnel ist gar nicht so leicht zu finden: unter den Gleisen des Fernbahnhofs Hamburg-Altona, neben den Lieferzufahrten eines Hotels und eines Elektronikmarkts. Da stehen fünf Männer in Arbeitskleidung, am Sonnabendnachmittag. Jemand hat Erdbeerkuchen vorbeigebracht. Sie sind schließlich zum Spaß hier. Und sie verstehen was von Orten wie diesem. Denn wie man auf ihren schmucken Arbeitsjacken lesen kann, gehören sie zum Verein Hamburger Unterwelten.

Vor ein paar Tagen erst haben sie den Schlüssel bekommen, und jetzt wollen sie loslegen. In einem selbstgebauten Schienenwagen schieben sie Kabeltrommeln und Baulampen in das düstere Loch hinter den gewaltigen Gittertürflügeln – bestimmt fünf, sechs Meter hoch. Durch diesen Schlund passte früher eine Lokomotive mit bis zu sechs Waggons, hoch beladen mit Fischkisten, vor allem Schellfisch. Und dieses „früher“ ist noch gar nicht so lange her: Erst 1992 wurde die Schellfischbahn vom Altonaer Fischmarkt zum Bahnhof Altona aufge­geben.

Der Fisch wurde immer weniger – überhaupt und vor allem hier. Die lange Fahrt elbaufwärts rentierte sich nicht mehr, da lag „Fischtown“ Bremerhaven an der Außenweser günstiger. Der Tunnel wurde stillgelegt.

Danach wurde es zur Mutprobe junger Menschen, nach der Kneipe in den Tunnel einzusteigen und sich bis zum anderen Ende vorzutasten. Im Stockdustern, Hand in Hand, kamen manche einander dabei so nahe wie vorher die ganze Nacht nicht.

Noch dänische Planung

„Aber früher“, sagt Holger Dierks vom Verein Hamburger Unterwelten auf dem Weg ins Dunkel, „war Altona mal der größte Fisch-Anlandeplatz Europas.“ Der Tunnel sei 1876 nur gebaut worden, weil er schon zur Dänenzeit geplant war. Die Dänen, die Altona bis zu ihrer Niederlage im Deutsch-Dänischen Krieg 1864 beherrschten, hatten ihren Hafen groß gemacht, um einen Teil der Ladung abzugreifen, bevor die Schiffe Hamburg erreichten. Nur waren am steilen Geesthang 30 Höhenmeter bis zur Eisenbahn zu überwinden. Seit 1845 geschah das mit einem schnurgeraden Gleis mit 15 Prozent Steigung auf dem Hang, erst per Pferdekraft und dann mit einer Dampfmaschine.

Viel leichter wurde der Fischtransport dann in dem sanft geschwungenen, 941 Meter langen Tunnel. Zu Fuß lässt sich der knappe Kilometer über hölzerne Gleisschwellen mühelos durchschreiten, vorbei an engen backsteinernen Buchten, in die Gleisarbeiter sich flüchteten, wenn der Fischzug vorbeirauschte, über jene Stelle, unter der alle zehn Minuten die S-Bahn hindurchdonnert, bis zu den tiefen Furchen in den Gleisschwellen, Zeichen gar nicht mal so selten entgleister Loks.

Wo am Ende das Licht wiederkommt, versperrt ein Tor den Weg nach draußen. Durch das Gitter zeigt Dierks auf eines jener schnieken Bürogebäude, mit denen das alte Fischereihafengelände aufgerüscht wurde. Der Bauherr hat sich tatsächlich vors Bürofenster einen kleinen Bahnsteig bauen lassen – in der Hoffnung, der Schellfischtunnel könnte irgendwann für den Nahverkehr reaktiviert werden.

Verblasste Tüftlerträume

Was gab es nicht alles für Pläne: Spurbus, Stadtbahn, Fahrradweg, eine Fernwärmeleitung, wenigstens ein kleines Touristenbähnchen – sogar selbstfahrende Personenkabinen wollten Tüftler mal durch das alte Gemäuer schicken. Aber am Ende wurde alles verworfen: zu teuer, kein Bedarf, heißt es. Nur wegen der hohen Kosten wurde der Tunnel nicht zugeschüttet.

Deswegen kommen jetzt die „Unterwelten“ zum Zuge, die eine Reihe unterirdischer Bauwerke betreuen. Am 23. Juli ist Eröffnung. Sie wollen dann Führungen anbieten. Alles ehrenamtlich, ohne Zuschüsse von der Stadt. „Das ist mir auch lieber so“, sagt Dierks, „dann kann ich bei den Führungen sagen, was ich will.“

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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