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: Der Überrascher seiner selbst

Ein Konzert erinnert an den Free Jazzer Rolf Ernst

Ein Foto zeigt Rolf Ernst bei der Arbeit. Seine Körperbewegungen sind zu schnell für die Verschlusszeit. Verwischt scheinen Kopf, Arme, Hände in verschiedene Richtungen aus dem Bild zu huschen.

Gleichzeitig scheint die Körpermitte gut verortet. Das Bild sieht aus, als wäre es schon immer die Kopie einer Kopie gewesen. Fanzineverwaschen. Der Selbsterschöpfung von Stilen und Formen, ihrem Gerinnen zu Klischees, hat Ernst einmal gesagt, könne allein mit der Entgrenzung zur eigenen Formsprache begegnet werden. Rolf Ernst war Schlagzeuger. Im vergangenen Jahr ist er gestorben. Nun würdigt ein Konzert seine musikalische Grundhaltung.

Es ist die Zeit der Wenden und Wohlfahrtsausschüsse in Hamburg, als das Free-Jazz-Quartett Tisch 5 1990 seinen Debüttonträger „Bulletin“ veröffentlicht. Der Maler Daniel Richter versteckte fürs Cover Comic-Hunde in seltsam begrünten Löchern. Das Punk-Label Buback brachte die Platte heraus. Ein ungewöhnlicher Publikationsort für eine Free-Jazz-Platte. Einer, der auf etwas hinweist. Auf eine Haltung. Und auf eine Historie. Denn in dieser Zeit Free Jazz zu spielen, hatte zugleich etwas frisch Befreiendes – und etwas Anhistorisiertes.

Ein fröhlich rumpelndes Geviert

Tisch 5, 1987 gegründet, orientierten sich musikalisch auch an widerborstigen europäischen Ausformungen des freien Jazz. Sie verstanden ihre Musik als Ereignis. Kompromisslos. Körperbetont. Neben Ernst gehörten der ebenfalls verstorbene Saxophonist Rolf Pifnitzka, der Kontrabassist Stephan Kersting und der Posaunist Hans-Erich Gödecke zum fröhlich rumpelnden Geviert.

Ernsts Weggefährten beschrieben sein Schlagzeugspiel so, wie das eingangs erwähnte Foto erahnen lässt: Dynamisch, zupackend, kraftvoll, explosiv. Er selbst beschrieb seine Suche nach einer eigenen, einer permanent selbstüberraschenden perkussiven Formsprache als eine Suche nach Straßen und Räumen. Mindestens gedanklich war das Draußen – Leben, Gesellschaft – also immer dabei.

Ernsts Schlagzeugspiel trieb die Bühnenaktionen von Tisch 5 bisweilen pulsierend vor sich her. Um dann – zur eigenen Überraschung, wie als Reaktionsangebot an die Mitspieler – abrupt Löcher zu reißen, Tempi und Stimmungen zu verlagern, neue Verbindungen her- oder bereitzustellen. Dem klanglichen Geschehen einen unvermuteten Dreh und Drive zu geben. Um dann wieder mit eleganten, fast swingenden Geradlinigkeiten zu überraschen, die seine musikalische Herkunft aus Rock- und sogar Tanzmusik lächelnd nicht verhehlen wollten.

Wie 1990, als das „Bulletin“ erschien, sicher auch als vermischte Nachricht zur gegenwärtigen Zeit, ist trotz Großstadt die freie Musik-Szenerie zwar ästhetisch vielgestaltig, aber doch überschaubar. Vielleicht verwundert es darum nicht, dass neben älteren Weggefährten um den Tisch-5-Bassisten Stephan Kersting auch Vertreter der jüngeren Generation wie der feinsinnige, aber nicht minder zupackende Kontrabassist John Hughes oder der gefühlt vielarmige Schlagzeuger Chad Popple beim Ernst-Tribut vertreten sind.

So würdigen sie mit, was allen Traditionslinien zum Trotz in den großen hanseatischen Annalen kaum als Randnotiz auftaucht. Was nicht an der fotografischen Flüchtigkeit der Bilder liegt – sondern an Großhaltungen, denen kleine Labels und Läden mitunter gezielt entgehen. Tim Schomaker

„Tribute to Rolf Ernst“: 22. 8., 19.30 Uhr Hafenbahnhof, Hamburg, Große Elbstr. 276