Seenotretter über Pushbacks und Hetze: „Diese Praxis ist bewiesen“

Kri­ti­ke­r*in­nen illegaler Pushbacks macht die griechische Regierung zur Zielscheibe von Hetze. Iasonas Apostolopoulos kennt das Problem.

Uniformierte Personen auf einem Schiff.

Griechische Grenzschutzbeamte im Frontexeinsatz vor Lesbos Foto: Serge Sibert/REA/laif

taz: Herr Apostolopoulos, in den griechischen Medien und sozialen Netzwerken läuft eine rechte Hetzkampagne gegen Sie – ausgelöst durch eine Rede, die Sie im Europaparlament im vergangenen Mai gehalten haben.

Iasonas Apostolopoulos: Da habe ich über die Situation Geflüchteter in Italien und Griechenland gesprochen, weil ich als Seenotretter einen guten Überblick über die Situation in beiden Ländern habe. Dort habe ich auch die Pushbacks der griechischen Küstenwache angeprangert. Einen Monat später veröffentlichte eine regierungsnahe Onlineplattform Ausschnitte meiner Rede. Am nächsten Tag brachte der griechische Regierungssprecher eine Mitteilung heraus, in der er sagte, dass ich die Frauen und Männer der griechischen Küstenwache von hinten attackieren würde und mich als Vaterlandsverräter beschuldigte. Fast alle Medien übernahmen diese Hetze. Sie schrieben, dass ich im Europaparlament das Land verleumdet hätte. Ich wurde im Internet bedroht, einige User appellierten an den Geheimdienst, mich zu ermorden.

Wie geht man mit so einer Hetze um?

Wäre ich eine Person, die sich sonst aus Politik raushält, wäre ich schon längst zusammengebrochen. Doch ich sehe mich als Teil einer solidarischen Bewegung, die sich für Menschenrechte einsetzt und die Verbrechen an der EU-Außengrenze nicht einfach so hinnehmen kann. Aktuell findet eine Kriminalisierung der Geflüchteten statt. Immer wieder werden Geflüchtete der Schlepperei beschuldigt und zu extrem langen Haftstrafen von bis zu hundert Jahren verurteilt. Schon die Rhetorik gegen Geflüchtete in Griechenland ist seit einigen Jahren extrem rechts dominiert: Es ist nicht mehr von Flüchtlingen die Rede, sondern von Lathrometanastes, eine extrem abwertende Bezeichnung für illegale Migranten, und von Invasoren, die Erdoğan instrumentalisieren würde, um Griechenland zu schaden. Flüchtlinge werden als Feinde dargestellt, die Küstenwache trotz der belegten Pushbacks nicht als Täter, sondern Beschützer vor den Schlepperringen böser NGOs. Nur Geflüchtete aus der Ukraine bilden da eine Ausnahme.

Iasonas Apostolo­poulos

38, engagiert sich seit 2016 in der Seenotrettung; aktuell an Board der „Mare Jonio“ im zentralen Mittelmeer.

Wie laufen diese Pushbacks ab?

An der griechisch-türkischen Grenze etwa finden seit zwei Jahren systematisch illegale Pushbacks statt – am Fluss ­Evros, aber auch in der Ägäis. Wobei: Das Wort Pushbacks wird dem Ganzen nicht gerecht. Die Geflüchteten werden wieder zurück ins Meer gebracht und in der Regel auf sogenannten Rettungsinseln ausgesetzt – ohne Motor, ohne Lebensmittel, sogar ihre Handys werden ihnen abgenommen. Das heißt, sie können nicht einmal um Hilfe rufen. Wegen der Pushbacks versuchen immer mehr Geflüchtete von der türkischen Küste direkt nach Italien zu gelangen. Es ist also eine neue Fluchtroute entstanden, die sogenannte kala­bri­sche Route. Sie ist viel gefährlicher, weil die Strecke viel länger ist und die Geflüchteten sie unbemerkt passieren müssen, um nicht von der griechischen Küstenwache entdeckt und zurückgedrängt zu werden.

Die griechische Regierung weist die Vorwürfe von Pushbacks zurück und nennt sie türkische Propaganda.

Das ist lächerlich. Diese Praxis ist mittlerweile mehr als bewiesen. Die größten internationalen Medien wie BBC oder CNN berichten immer wieder ausführlich über die Situation an der griechisch-türkischen Grenze, das UN-Flüchtlingshilfswerk spricht in einem aktuellen Bericht von etwa 540 dokumentierten Fällen seit 2020 mit über 17.000 Geflüchteten, die zurückgedrängt wurden. Der bisher unter Verschluss gehaltene Bericht der europäischen Antibetrugsbehörde Olaf, den der Spiegel veröffentlichte, bestätigt, dass die EU-Grenzschutzagentur Frontex nicht nur von den illegalen Pushbacks der griechischen Behörden wusste, sondern diese tolerierte und zu vertuschen versuchte. Der Skandal hat den Chef der europäischen Grenzschutzagentur, Fabrice Leggeri zum Rücktritt gezwungen.

Die Hetze gegen Sie persönlich hat aber auch eine Welle der Solidarität ausgelöst: Organisationen, einzelne Po­li­ti­ke­r*in­nen und Oppositions-Parteien haben Ihre Unterstützung und Solidarität zum Ausdruck gebracht.

Ja, und viele Menschen haben erst durch die Hetze gegen mich von den Pushbacks an der griechisch-türkischen Grenze erfahren. Dieses Tabuthema kommt langsam in der griechischen Gesellschaft an. Und genau das ist mein Ziel: mit unseren Worten und Taten ein Verbrechen, das noch unsichtbar ist, sichtbar zu machen.

Warum berichten die griechischen Medien nicht über die Situation?

Wir haben in Griechenland ein großes Problem mit der Pressefreiheit. Auf der Rangliste der Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen ist das Land auf Platz 108 von 180 gerutscht, hinter Diktaturen wie dem Tschad. In der Coronapandemie hat die Regierung den Medien Millionen Euro bereitgestellt, der Premierminister Kyria­kos Mitsotakis hat sofort nach seiner Amtsübernahme die Kontrolle über den griechischen Geheimdienst erlangt. (Vergangenen Freitag sind der Chef des Geheimdiensts und ein weiterer engerer Mitarbeiter des Premiers wegen eines Spionage­skandals zurückgetreten. Unter anderem soll der Sozialistenchef Nikos Androulakis ausspioniert worden sein, als dieser noch im EU-Parlament saß – Anm. d. Red.) Was das bedeutet, sehen wir aktuell: Keiner hat das Recht, die Regierungspolitik zu kritisieren. Es herrscht eine wirklich dys­to­pische Situation, die eher an eine Diktatur erinnert als an eine Demokratie.

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