berliner szenen
: Warum diese Aufregung?

Gerade goss ich meine Pflanzen auf dem Balkon, als ich von unten jemanden schreien hörte: „Lass die Finger weg von meinem Auto. Ich glaub, ich spinn‘! Verpiss dich!“ Ich schaute nach unten und sah einen Mann mit schwarzer Sonnenbrille und langen grauen Haaren, zusammengebunden zu einem Pferdeschwanz. Der pfefferte gerade einem jüngeren Mann, der Visitenkarten an Autoscheiben befestigte, eine solche Karte entgegen. Dieser wiederum sagte kein Wort, lief weiter, ließ sich nicht abhalten, verteilte Visitenkarten an Autos.

Doch der Mann mit dem Zopf hörte nicht auf, zu schreien: „Verpiss dich! Du bist doch bestimmt ein Krimineller!“ Das alles hörte auch ein Radfahrer, der ­neben dem Schreienden stehenblieb. Er sagte: „Lassen Sie doch den jungen Mann in Ruhe. Der macht doch nur seinen Job.“ Jetzt wurde der Mann mit dem Zopf noch lauter: „Das ist doch kein Job! Der ist bestimmt von der Mafia!“

Immer mehr Menschen kamen nun auf ihre Balkone, verfolgten den Streit auf der Straße. Der Radfahrer entgegnete: „Vielleicht sind Sie ja von der Mafia.“ Hinter dem Radfahrer hielt nun ein Taxi­fahrer, fing an zu blinken, wollte den Parkplatz einnehmen, den doch hoffentlich gleich der Mann mit dem Zopf freimachen würde. Der aber gab sich weiter Wortgefechte mit dem Radfahrer, bis er dann in sein Auto stieg und davonfuhr. „Alles Spinner!“, schrie er noch.

Was war denn sein Problem?, fragte ich mich danach. Klar, in Deutschland regen sich viele Menschen wegen Nichtigkeiten auf, doch hier lag die Vermutung nahe, dass er ein Rassist war. Wahrscheinlich passte ihm die Visage des Mannes nicht, der Visitenkarten an Autos verteilte. Vielleicht hatte er aber auch nur einen schlechten Tag. Das wäre immerhin ein bisschen akzeptabler.

Eva Müller-Foell