Größtmöglicher Sicherheitsabstand

Der SC Freiburg ist nach einem 3:2-Erfolg in Leverkusen Tabellenführer und sieht sich so vor Beginn der englischen Wochen optimal vor dem Abstiegssog geschützt. Effizienz, Spielglück und ein erstaunlich breiter Kader begünstigen die Entwicklung

Aufrechter Freiburger und gebeugter Leverkusener: Wooyeong Jeong will sich von Jeremie Frimpong nicht aufhalten lassen Foto: Federico Gambarini/dpa

Aus Leverkusen Daniel Theweleit

Als der Schlusspfiff ertönte, hatte Maximilian Eggestein noch keine Ahnung von der historischen Bedeutung, die der 3:2-Sieg des SC Freiburg in Leverkusen für den rasant wachsenden Klub aus dem Schwarzwald besitzt. „Ich höre das jetzt zum ersten Mal“, sagte er, als ihm nach Spielende berichtet wurde, dass sein Klub an der Tabellenspitze steht.

Das sei eine „schöne Momentaufnahme, mehr nicht“, untertrieb Eggestein, die Freiburger blieben auch auf einem zuvor noch nie erreichten Gipfel Spezialisten des Understatement. Nur einmal zuvor stand der Sportclub auf Platz eins der Liga, das war vor 22 Jahren nach einem 4:0 gegen den VfB Stuttgart zur Saisoneröffnung. Jetzt, nach fünf Partien, hat so eine Positionierung nicht nur mehr Aussagekraft, sondern auch eine größere Wirkung.

Selbstverständlich träumt beim SC niemand von der Meisterschaft, auch wenn Kapitän Christian Günter zu einem Journalisten sagte: „Wenn mir am Vieredreißigschte da obe stehn, dann würdsch mich hier jetz wahrscheinlich ned sehen“, zu diesem Zeitpunkt könne die Mannschaft „das alles gut einordnen“. Und dennoch haben die zwölf Punkte einen Effekt, der die Freude über Platz eins weit übersteigt. Dieser Saisonstart verleiht den Freiburgern ein Gefühl der Leichtigkeit gegenüber einer Herausforderung, vor der die Verantwortlichen großen Respekt haben.

Mit einem Spiel gegen den aserbeidschanischen Klub Qarabag Agdam beginnt am Donnerstag die Europa-League-Saison und eine Phase der Extrembelastung, wie sie der Klub seit 2013 nicht mehr verkraften musste. „Wir wollen in einem Jahr, in dem wir Europapokal spielen, in der Liga bleiben und gute Europacup-Spiele machen“, beschrieb Trainer Christian Streich die Ziele. Dank des erspielten Punktepolsters sind sie auch nach den Niederlagen im nationalen Wettbewerb ganz gut geschützt vor dem Abstiegskampfstrudel. Und die Festtage in der Europa League lassen sich auch anders genießen. Als Spitzenklub, der mit den Belastungen aus drei Wettbewerben lässig zurechtkommt, begreifen die Freiburger sich noch lange nicht, und dafür haben sie gute Argumente.

„Wir machen einige Sachen gut und andere Sachen nicht so gut“

Christian Streich, Trainer

Zwar steht der Klub vor Borussia Dortmund und dem FC Bayern an der Tabellenspitze, konstant wie eine Spitzenmannschaft gespielt haben sie aber keineswegs. Das 4:0 in Augsburg hätte in der ersten Halbzeit eine andere Richtung nehmen können, bei den 1:0-Siegen gegen Bochum und in Stuttgart halfen günstige Spielverläufe, und die erste Halbzeit in Leverkusen war schwach. „Ich kann die Spiele einordnen, wir machen einige Sachen gut und andere Sachen nicht so gut“, sagte Streich. „Wir können heute auch vier Tore kriegen, hatten einen guten Torwart, gute Innenverteidiger und das Glück.“ Vor allem aber ist die Mannschaft sehr effizient und sie beherrscht weiterhin die Kunst der Standardsituationen.

Leverkusen führte zur Pause durch Kerim Demirbay, doch Matthias Ginter glich nach einem Eckball aus (48.), bevor Michael Gregoritsch in Folge eines Abwehrfehlers von Edmond Tapsoba zum 1:2 traf. Auf das 2:2, das Patrik Schick nach einer schönen Flanke des Neuzugangs Cullum Hudson-Odoi köpfte (65.), reagierten die Freiburger mit einer weiteren Eckevariante, die Ritsu Doan veredelte (72.). Die Stärke bei Standards verdanken sie nicht zuletzt den Assistenztrainern Florian Bruns und Lars Voßler. „Die machen das überragend“, sagte Streich, wies aber auch auf die Rolle der Spieler hin: „Uns hilft, dass viele schon seit Jahren bei uns sind und eine gute Abstimmung haben. Die können einfach gute Entscheidungen im Stress auf dem Platz treffen.“

Neben der durch kluge Transferpolitik entstandenen individuellen Qualität der Profis ist ein Kadergerüst entstanden, das den Freiburger Fußball verinnerlicht hat. Die Integration neuer Leute fällt deshalb leicht. In Leverkusen trafen mit Ginter, Gregoritsch und Doan Spieler, die im vergangenen Jahr noch andernorts unter Vertrag standen. Der Kader ist derart breit, dass die zur Bundesligamannschaft gehörenden Lukas Kübler, Daniel Kofi-Kyereh und Merlin Röhl am Samstag mit der zweiten Mannschaft mit 1:0 gegen Ingolstadt gewannen und in die Aufstiegsränge der Dritten Liga kletterten. Auch das ist eine Rekordplatzierung.