Erst mal was anderes machen

HOCHSCHULMESSE Auch in Zeiten der Doppeljahrgänge werben Unis und Fachhochschulen um Studierende. Zwar gibt es mehr Bewerber, doch der ganz große Ansturm blieb aus

Gute Job-Chancen haben in Zukunft Sozialarbeiter und Ingenieure, versprechen Vertreter der Arbeitsagentur. In diesen Fächern liegt der Numerus clausus auch noch recht niedrig

VON STELLA WÄCHTER

Unübersichtliches Gewusel im Foyer der Hamburger Arbeitsagentur. Repräsentanten von rund 40 Hochschulen aus dem Norden sind an einem Samstag im Mai angereist, um neue Studierende zu werben. Das Angebot zieht. Schon um zehn Uhr früh zur Eröffnung der Messe „Studieren im Norden“ herrscht dichtes Gedränge.

Voll ist es auch in den Bildungseinrichtungen selbst. Denn es ist die Zeit der Doppeljahrgänge. 2010 verließ der erste in Hamburg die Schulen, vergangenes Jahr der zweite in Niedersachsen, dieses Jahr ist Bremen dran. Durch die Verkürzung der Schulzeit von dreizehn auf zwölf Jahre kommt es in den Ländern zur doppelten Menge an potenziellen Studienbewerbern. In Schleswig-Holstein ist es erst 2016 soweit. Zudem wurde im vergangenen Jahr die Wehrdienstpflicht ausgesetzt.

Aber bedeuten mehr Abiturienten auch automatisch mehr Studierende? Die Vertreter an den Messeständen geben gemischtes Feedback: Während viele Fachhochschulen wie die Niedersächsische Hochschule für angewandte Wissenschaften und Kunst (HAWK) nicht so sehr mit hohen Bewerberzahlen konfrontiert sind, verzeichnen viele Universitäten gestiegene Numeri clausi (N. c.).

An der Leibniz-Universität Hannover allerdings waren letztes Jahr die „Chancen so gut wie nie, einen Studienplatz zu bekommen“, berichtet Felicitas Becker von der Zentralen Studienberatung (ZSB). Auf dem Campus ist dennoch mehr los, denn die Studienplatzkapazitäten wurden um rund 40 Prozent erhöht.

An der Uni Bremen dagegen gab es im vergangen Jahr viel mehr Bewerbungen. In Mensen und Bibliotheken sieht man zunehmend jüngere Gesichter. Viktoria Thurn von der Studienberatung der Uni Bremen mutmaßt, dass die immens gestiegenen Bewerbungszahlen mit der Angst der Schulabgänger zusammenhängt, gar keinen Platz zu bekommen. „Die bewerben sich einfach überall. Wenn sie mehrere Zusagen bekommen, wird nur eine angenommen und den anderen meist nicht abgesagt. Wir hatten dies Jahr ein viel komplizierteres Nachrückverfahren.“

Blockierte Studienplätze durch Mehrfachbewerbungen sind ein Szenario, das eigentlich schon Alpträumen vergangener Tage angehören könnte. Schon 2011 sollte die Seite „hochschulstart.de“ online gehen, auf der Studieninteressierte sich zentral für 170 Hochschulen gleichzeitig bewerben können. Erteilt man dem Standort der Wahl eine Zusage, erhalten alle übrigen automatisch die Absage und die Plätze werden für andere Bewerber freigegeben. Weil die Software aber mit nur knapp einem Viertel der Universitätssysteme kompatibel ist, lässt der Start bis zum heutigen Tag auf sich warten.

Im Gespräch zeigten sich die Hochschulvertreter allerdings verwundert: Es habe zwar deutlich mehr Bewerber gegeben als in früheren Jahren, der ganz große Ansturm jedoch blieb aus. Wo sind die Abiturienten denn alle hin? An den Fachhochschulen nimmt man an, sie seien zu den Unis abgewandert. An den Unis glaubt man an die Theorie vom plötzlich gestiegenen Sozialengagement: Reifegeprüfte stürzen sich danach erst mal in Freiwilligendienste im In- und Ausland. An den Messeständen der Freiwilligendienste weiß man: Das stimmt.

Ein Großteil der Messebesucher will zwar „auf jeden Fall studieren“, aber „erst mal was anderes“ machen oder „ins Ausland gehen“. Unter den anwesenden Schülern auf der Nord-Hochschulmesse sind dabei Doppelabitur und der Wegfall der Wehrpflicht überhaupt kein Thema. Ohnehin herrscht weithin Orientierungslosigkeit über Angebote und eigene Studienwünsche: „Irgendwas mit Medien ...“ zählt dabei schon zu den konkreteren Einschätzungen. Mit einem sozialen, kulturellen oder ökologischen Jahr verschaffen sich viele Unentschlossene sinnvoll genutzte Bedenkzeit.

Wer sein Wunschfach gefunden hat und zufällig ein heiß begehrtes – wie Medizin, Soziale Arbeit oder Biochemie – anvisiert, der sollte beim Studienort flexibel sein, rät Knut Böhrnsen, Pressesprecher der Arbeitsagentur. Gute Jobchancen verspricht er dagegen Sozialarbeitern und Ingenieuren aller Art. Letztere können sich doppelt freuen, denn für Ihre Studiengänge liegen die N. c. recht niedrig.

Infos: www.studierenimnorden.de