Aufnahmeprogramme für Afghanistan: Warten auf Nancy Faeser

Hessen will afghanische Geflüchtete aufnehmen, braucht dafür aber das Ja vom Bundesinnenministerium. Eben daran scheiterten derlei Versuche bisher.

Portest vor dem Außenministerium in Berlin mit afghanischer Flagge und Plakaten

August: In Berlin demonstrieren Menschen ihre Solidarität mit Schutzbedürftigen aus Afghanistan Foto: Stefan Boness

BERLIN taz | Hessen will nicht mehr warten. Zwar hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag ein humanitäres Aufnahmeprogramm für die Menschen in Afghanistan versprochen. Doch Konkretes gibt es bis heute nicht. Nun hat Hessen sein eigenes Landesaufnahmeprogramm beschlossen. Ob es auch starten kann, ist aber ungewiss.

Die letzten Schreckensnachrichten aus Afghanistan gab es erst wieder Anfang Oktober: Mehr als 50 Menschen starben bei einem Selbstmordanschlag auf eine Bildungseinrichtung. Die meisten von ihnen waren Mädchen und Frauen, Angehörige der Minderheit der Hazara. Tausende Schutzbedürftige sitzen unter dem Talibanregime fest.

Das Aufnahmeprogramm der schwarz-grünen hessischen Landesregierung soll 1.000 Menschen aus Afghanistan Zuflucht bieten, die bereits familiäre Beziehungen nach Hessen haben. Dazu zählen nicht nur Ehegatten, Eltern und Kinder, sondern auch Großeltern, Enkel und Geschwister. Auch will das Land die Flugkosten der Geflüchteten übernehmen. „Wir stehen zu unserer Verantwortung für Menschen, die vor Krieg, Gewalt und Verfolgung fliehen müssen“, sagte Mathias Wagner, Grünen-Fraktionsvorsitzender im hessischen Landtag.

„Das ist ein bundesweit bedeutsames Signal“, sagte Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl. Es sei „mutmachend“, dass nach Schleswig-Holstein, Thüringen, Bremen und Berlin im vergangenen Jahr nun auch Hessen diesen Schritt gehe. Und tatsächlich ist Hessen nicht das erste Bundesland mit einem solchen Beschluss. Dennoch gibt es bisher kein einziges aktives Landesaufnahmeprogramm.

Scharfe Kritik von Pro Asyl

Denn solchen Vorhaben muss das Bundesinnenministerium zustimmen. Und genau daran hat es in der Vergangenheit immer gefehlt. Der ehemalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gab Schleswig-Holstein keine Starterlaubnis – und seine Amtsnachfolgerin Nancy Faeser (SPD) versagte diese Thüringen, Bremen und Berlin: Ein Landesaufnahmeprogramm sei „verfrüht“ angesichts des anstehenden Bundesaufnahmeprogramms. Die Entscheidung werde solange vertagt.

Das war im März, und noch immer ist das Bundesaufnahmeprogramm nicht in Sicht. In einer Fragestunde im September antwortete der Bremer Senat auf Anfrage der Linksfraktion, es sei „davon auszugehen“, dass die Vorbereitungen „bis Ende 2022 abgeschlossen werden können und das Programm Anfang 2023 beginnen kann“.

Ein Umstand, den Pro Asyl scharf kritisiert. „Noch immer hat Ministerin Faeser kein Bundesaufnahmeprogramm unter Benennung der Größenordnung, der Abläufe und der Kriterien veröffentlicht. Mehr als ein Jahr nach der Bundestagswahl ist das enttäuschend“, sagte Burkhardt. Auch müsse die Bundesregierung endlich wie versprochen das Ortskräfteverfahren reformieren.

„Keine weitere Verschleppung“

Sie begrüße, dass ein weiteres Bundesland ein Aufnahmeprogramm beschlossen habe, sagte auch Clara Bünger, fluchtpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. „Leider bringt das aber nicht viel, solange Innenministerin Faeser die Aufnahmeinitiativen der Länder blockiert. Da hat sich seit dem Wechsel von Seehofer zur selbsternannten Fortschrittskoalition nichts geändert.“

Dass das Bundesaufnahmeprogramm womöglich erst 2023 starten werde, sei eine „Katastrophe für die Menschen, die in Afghanistan ausharren müssen und auf den Schutz der Bundesregierung vertraut haben“. Vieles deute darauf hin, dass die Taliban immer skrupelloser gegen politische Geg­ne­r*in­nen vorgingen. „Diese Menschen brauchen jetzt sofort Hilfe, nicht erst in ein paar Monaten oder gar Jahren“, sagte Bünger.

Etwas weniger kritisch, aber ähnlich fordernd klingt es aus einer der Regierungsfraktionen. „Es ist klar, dass Nancy Faeser jetzt ihre Zustimmung zu dem hessischen Programm und denen der anderen Länder geben muss“, sagte der Grünen-Abgeordnete Julian Pahlke gegenüber der taz. Den Start des Bundesprogramms habe das Innenministerium kürzlich für den Herbst angekündigt. „Das muss dringend so passieren. Es darf zu keiner weiteren Verschleppung kommen.“

Eine Anfrage der taz an das Bundesinnenministerium blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. In Hessen ist man jedoch optimistisch, die nötige Zustimmung bald zu bekommen. Ein „entsprechendes Signal“ aus Berlin gebe es seit Anfang August im Rahmen einer Bund-Länder-Besprechung. „Daher gehen wir davon aus, dass die Bundesinnenministerin, Nancy Faeser, sehr schnell grünes Licht für unser hessisches Programm gibt“, sagte Wagner. „Denn vorher können wir nicht loslegen und es können auch keine Anträge gestellt werden.“

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