berliner szenen
: Zur Not hilft auch Amazon

Nach dem Laufen bleibe ich kurz an der Geben-und-Nehmen-Kiste vor meinem Haus stehen. Eine andere Interessentin ist schon da und guckt die Sachen durch. Im Angebot sind Klamotten, Bücher, Verschiedenes und Schrott. Wir nicken uns zur Begrüßung zu.

Aus dem Augenwinkel sehe ich eine Frau den Gehweg entlangradeln. Kurz drauf ertönt ein unzweideutiges Stöhnen. Es erinnert mich an eine Arbeit, die ich mal an der Uni schreiben wollte, dann aber leider nicht getan habe. „Die hat gleich einen Orgasmus“, sagt die Frau neben mir mit einem osteuropäischen Einschlag. „Ja, ich habe extra nicht hingeschaut“, antworte ich. „Ich schon“, sagt sie, „ich bin neugierig.“ Dann kommt sie ins Erzählen: „Bei mir sind neue Leute eingezogen, ein junges Pärchen, direkt über mir. Die sind ständig dabei. Gestern bis tief in die Nacht und heute früh um 5.30 schon wieder.“ „Vielleicht mal beschweren?“, frage ich. „Ach was, ich gönne es ihnen doch! Aber wenn ich dann so neben mich schaue und da ist niemand … na ja, zur Not hilft Amazon.“ Ich verstehe Bahnhof. Wieso Amazon? Verscheuern die jetzt auch Dates? „Wieso Amazon?“, frage ich schließlich. Die Frau sieht mich ungläubig an. Dann senkt sie die Stimme und sagt nur ein Wort: „Vibrator.“ Ich erschaudere ein wenig und entgegne schnell, dass es aber auch ohne ginge. Sie stimmt zu.

Beim Hochgehen finde ich es doof und seltsam, dass eine Frau, die über Humor verfügt, tolerant ist und nett aussieht, unfreiwillig alleine bleibt. Anderntags wühlt die Literaturwissenschaftlerin in der Kiste. Sie gehört zu den Stammgästen und ist berüchtigt für ihr bezauberndes Lächeln und ihr Ausfahren der Ellenbogen beim Abräumen. Dazu verkündet sie Dinge wie: „Ich geh jetzt heim, Liebe machen.“ Rette sich, wer kann.

Katrin Schings