Weimarer Verhältnisse

Zu einer Querfront-Demo kam es am vergangenen Samstag in Hamburg, als sich Friedensbewegung und Querdenker verbündeten. Die Konvergenzen zwischen den beiden Lagern sind weder Zufall noch neu

Dass links und rechts zueinander finden könnten, glaubte eine Zeit lang sogar Josef Goebbels

Aus Hamburg Andreas Speit

Nur 1.000 Meter Luftlinie ist der Bahnhof Altona von der früheren Viktoria-Kaserne entfernt, doch am Samstag vor einer Woche lagen zwischen diesen beiden Orten Welten. Am Bahnhof Altona versammelte sich die Teilnehmenden des „dezentralen bundesweiten Aktionstags der Friedensbewegung“, in der Viktoria-Kaserne traf sich das Hamburger „Bündnis gegen rechts“, um die „aktuellen Herausforderungen“ zu besprechen, zu denen genau diese Demonstration am Bahnhof gehörte.

Denn die Veranstalter, in diesem Fall das friedensbewegte „Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung“, hatte die Demo zusammen mit der Querdenker-Partei „die Basis“ organisiert. Schon länger hat der Verfassungsschutz vor einem „heißen Herbst“ gewarnt, in dem sich Extremisten von links und rechts verbünden könnten.

Manche, die sich selbst in der politischen Mitte verorten, denken da an „Weimarer Zustände“. Damals war es jedoch der Reichskanzler, General Kurt von Schleicher, der 1932 eine organisatorische Querfront von Reichswehr und Allgemeinem Deutschen Gewerkschaftsbund, von rechtsgerichteten Sozialdemokraten und linksgerichteten Nationalsozialisten anstrebte.

Die linken Ideale von Solidarität und Internationalismus gingen dabei verloren: Der vermeintlich linke Flügel der NSDAP, der Strasser-Flügel, propagierte einen nationalen Sozialismus statt Klassenkampf, mit einer taktischen Annäherung an die Sowjetunion.

Auch der Hofgeismarer Kreis der rechten Sozialdemokraten forderte einen nationalen Sozialismus und lehnte den marxistischen Internationalismus ab. Einer der Vordenker war Ernst Niekisch, der 1926 in der Zeitschrift für nationalrevolutionäre Politik erklärte: „Westlerisch sein heißt: mit der Phrase der Freiheit auf Betrug ausgehen, mit dem Bekenntnis zur Menschlichkeit Verbrechen in die Wege leiten, mit dem Aufruf zur Völkerversöhnung Völker zugrunde richten.“ West gegen Ost ist die Botschaft, Moderne gegen Tradition, Liberalismus gegen Autoritarismus.

In dieser Dualität denkt auch Björn Höcke. Der Thüringische AfD-Landtagsfraktionsvorsitzende sagte in seiner Rede am 1. Oktober in Gera: Wenn er sich jetzt „für das deutsche Volk“ entscheiden müsste zwischen „dem Regenbogenimperium“ des „neuen Westens“ oder dem traditionelle Osten, er würde den Osten wählen.

Dass links und rechts zueinander finden könnten, glaubte eine Zeit lang sogar Josef Goebbels. 1926 meinte der späteren Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda: „Warum setzen sich nicht ein paar vernünftige Kerle zusammen, von links und von rechts, junge, ehrliche Idealisten, die wissen, was sie wollen. Ich möchte meinen, sie kämen in ein paar Stunden zur Einigung, ohne Revolution, ohne Abstimmung und vor allem ohne Diäten.“

Im November 1932 bildete sich eine solche Allianz beim Bahnstreik in Berlin, wo KPD und NSDAP den Protest organisierten. Es war eine temporäre Querfront, eingegangen aus taktischen Überlegungen vor der Reichstagswahl. Allianzen suchte auch Niekisch, der im Laufe seines Lebens von der USP über die SPD bis zur SED wanderte, ohne seine einschlägigen Positionen zu verlassen. 1935 schrieb er in seinem Buch „Die dritte imperiale Figur“: „Der Jude sitzt am Hebel und reguliert Tempo und Tourenzahl in Rücksicht auf die Beschaffenheit des biologischen Materials, dessen Eigenwuchs jüdisch zurechtzubiegen ist.“

Seine Kritik an den Nazis von rechts, erschienen unter dem Titel „Hitler – ein deutsches Verhängnis“, führte zur Inhaftierung. Später in der Bundesrepublik wurde er als Widerstandskämpfer anerkannt.