Das Kugelmugelkuddelmuddel

Als Edwin Lipburger sich seinen Traum erfüllte, ein kugelrundes Haus, begann eine Kampagne gegen ihn. 30 Jahre später stellt eine Ausstellung seine Visionen vor

„Bin nicht irr!“, prangt es am 9. April 1976 von der Titelseite der Kronen Zeitung. Doch dieser Hilferuf kommt schon nur mehr als Reaktion auf eine monatelange Kampagne, die den österreichischen Künstler Edwin Lipburger als Verrückten abstempeln will. Dabei hat er nur ein Haus in Kugelform bauen wollen – eine architektonische Umsetzung seiner Gesellschaftsutopie, ein Kunstprojekt.

Anfang der 70er-Jahre begibt sich Lipburger dafür zum Bürgermeister des kleinen niederösterreichischen Katzelsdorf. Und dort scheint der Künstler alles andere als irre gewirkt zu haben, erteilt der Bürgermeister ihm doch sofort die Zustimmung zum Hausbau. So beginnt Edwin Lipburger in mühevoller Kleinarbeit sein Kugelhaus zu errichten – auf einem winzigen, hügeligen Grundstück, das er von einem Landwirt gekauft hat. Doch kaum ist das Haus fertig gestellt, soll es auch sofort abgerissen werden: Denn der Künstler hat nie eine offizielle Baugenehmigung erhalten.

Was sich von da an entwickelt, scheint wie ein Lehrstück in Sachen Wahnsinn und Gesellschaft, und ist ein bis heute offener Rechtsstreit zwischen der Republik Österreich und Edwin Lipburger. Denn statt den behördlichen Verordnungen nachzukommen, entzieht Lipburger sich ihnen, indem er seinen eigenen Staat gründet. Im Frühjahr 1976 ruft er das Gebiet um sein Haus als „Unabhängige Republik Kugelmugel“ aus. Das ist zu viel der Anarchie, und so muss Edwin Lipburger für zehn Wochen in den Knast. Begründung: Amtsanmaßung. Die Stadt Wien schlägt schließlich einen Kompromiss vor und bietet dem Künstler Anfang der 80er-Jahre an, sein Haus in den Prater zu transportieren. Dort steht das Kugelhaus bis heute – als kuriose Utopie.

Dass hinter dem Kugelmugelprojekt ursprünglich mehr steckte als eine Jahrmarktattraktion – davon kann man sich nun in der Galerie Croy Nielsen überzeugen. Die Galeriebetreiber haben Versatzstücke der Mikronation „Kugelmugel“ in den Prenzlauer Berg geholt, in das Erkerzimmer ihrer eigenen Wohnung. In der Mitte des Ausstellungsraumes prangt ein großer weißer Kreis auf dem Boden – Fundament für Lipburgers Haus wie für seine architektonischen Visionen. Schnell wird klar, dass es dem Künstler mit seinem Kugelhaus um mehr ging, als nur eine außergewöhnliche Bauform zu schaffen. Kreis, Kugel und die Sphäre sind die Ausgangspunkte für Lipburgers Kunstkonzept – organische Formen, die den Bedürfnissen des Menschen viel eher entsprechen als das Eckige und Gerade.

Blickt man auf die von Lipburger gestalteten Postkarten, die Innenansichten des Hauses zeigen, so lässt sich etwas von der Gemütlichkeit des Raumes erahnen. Bilder schmiegen sich an die Holzwände, in den Nischen sind Regale eingebaut, und Sessel stehen entlang der geschwungenen Wand. Auch aus pragmatischer Perspektive kann das Haus punkten, denn ein Kugelhaus bietet den größten Innenraum bei kleinster Fassade. In einer Schauvitrine zeugen „Dokumente“ von der Schaffenskraft – und vom Humor – des österreichischen Künstlers. Nicht müde wurde er im Streit um seine Minirepublik. Nach und nach erschuf er so ziemlich alle Insignien einer „richtigen“ Stadt. Er konstruierte Straßenschilder und Ortstafeln, die den offiziellen ziemlich ähnlich waren, und handelte sich damit gleich wieder Ärger mit den Behörden ein. Er entwarf ein Vorlesungsverzeichnis, das sich kaum von dem der Universität Wien unterschied. Eine Hymne gab es im Staat Kugelmugel, die den Namen „Ortstafelblues“ trug, und es gab auch einen Präsidenten: Edwin Lipburger himself.

Akribisch hat der österreichische Künstler seine Republik konstruiert und dabei sogar an Briefmarken gedacht. Auf denen prangt das Konterfei eines anderen großen Österreichers: Thomas Bernhard. Zufall ist das natürlich nicht. Sieht sich doch Edwin Lipburger wie sein Landsmann als verkannter Künstler, der im eigenen Land immer nur Ärger bekommen hat, nie aber die ihm gebührende Anerkennung. ANDREA EDLINGER

„Kugelmugel“, bis 16. Juli, Do. bis Sa. 16 bis19 Uhr, Croy Nielsen, Oderberger Straße 61 (2. OG)