Der StadtgehendieLichteraus

In der Nacht soll es nicht mehr leuchten in der Stadt. Es geht darum, Energie zu sparen. Wie aber verträgt sich das
mit der gefühlten Sicherheit?

Sparen lässt sich unterschiedlich handhaben: In der Spitaler Straße in Hamburg lassen die einen Filialisten ihre Schilder weiter leuchten, die anderen nicht

Aus Hamburg Alexander Diehl
Fotos Miguel Ferraz Araújo

Wie eine Stadt gemacht ist, das sieht man am besten zur Nachtzeit“: Nehmen wir Jean Cocteau mal bei seinem Bonmot: Was erzählen dann die Nächte in diesem Herbst über Deutschlands Städte? Es ist doch manches anders gerade, und das nicht erst, seit im gar nicht fernen Osten der Krieg zurückgekehrt ist nach Europa. Weil aber der russische Aggressor ein Dealer war auch für Energie, dieses Dope des Kapitalismus, muss nun Energie gespart werden, also Wärme und Strom und damit Licht.

Das ist keine Lappalie. Denn ob Städte sich beleuchten – und wie sie das tun –, das ist nie nur technischen Erfordernissen oder auch Möglichkeiten geschuldet. Es erzählt immer auch etwas mit übers Selbstverständnis derer, die dort wohnen. Oder zumindest derjenigen, die dort das Sagen haben.

„Um eine Notsituation bei der Energieversorgung im Winter zu vermeiden“, so hat es die Bundesregierung formuliert, müssen wir nun alle „zusammenarbeiten“.

Wir, das sind „Politik, Unternehmen und Verbraucherinnen und Verbraucher“, denn jede eingesparte Kilowattstunde „hilft gegen die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen“.

Eine der da erlassenen Maßnahmen ist vielerorts auch gut zu bemerken: Öffentliche Gebäude stehen seit dem 1. September im Dunkeln, werden also nicht wie gewohnt stimmungssteigernd mit Licht in Szene gesetzt. Was beim Justizpalast um die Ecke weniger auffallen mag als bei den postkartenberühmten Wahrzeichen. Im Turm des Hamburger Michels etwa brennt abends nur noch eine einsame Funzel, vermutlich ein Hinweis auf den nächsten Notausgang.

Nichts eindeutig bei Sparmaßnahmen

Nicht ganz so eindeutig ist die Lage bei einer anderen Blüte im Strauß der konzertiert Sparenden: der freien Wirtschaft. Die „Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über kurzfristig wirksame Maßnahmen“ alias, kein Witz!, „Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung – EnSikuMaV“, untersagt den „Betrieb beleuchteter oder lichtemittierender Werbeanlagen“ von 22 Uhr bis immerhin 16 Uhr des Folgetages.

Zeitumstellung

Am Wochenende ist es wieder mal so weit: In der Nacht von Samstag auf Sonntag, 30. Oktober, werden die Uhren um 3 Uhr nachts auf 2 Uhr zurückgestellt. Von der Sommerzeit wechselt man in die Winterzeit – die eigentliche Normalzeit –, und danach wird es eben ein Stunde früher dunkel. Was natürlich dadurch ausgeglichen wird, dass es dieses Stündchen auch früher hell wird: bis im nächsten Frühjahr wieder auf die Sommerzeit umgestellt wird.

Europäische Perspektive

Im September 2018 hat die Europäische Kommission vorgeschlagen, Schluss mit diesem Wechselspiel zu machen und die saisonalen Zeitumstellungen zu beenden. Der Vorschlag folgte Forderungen von BürgerInnen und auch Mitgliedstaaten, einer Entschließung des Europäischen Parlaments, einer Reihe von durchgeführten Studien sowie einer öffentlichen Konsultation. Im März 2019 unterstützte das Europäische Parlament den Vorschlag der Kommission. Der Ball liegt nun bei den Mitgliedstaaten, da es an ihnen liegt, einen gemeinsamen Standpunkt im Rat zu finden. Und da scheint der Ball in Sachen Zeitumstellung derzeit doch zu ruhen.

Die Umsetzung? Na ja. In den Fußgängerzonen lassen die einen ihre Schilder und Schaufenster munter weiter leuchten, die anderen nicht. Ausnahmen kennt nun aber auch die erwähnte Verordnung, dann etwa, „wenn die Beleuchtung zur Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit oder zur Abwehr anderer Gefahren erforderlich ist“ – worauf sich natürlich keine „New Yorker“-Filiale wird berufen können. Vielleicht aber darauf, dass die existierende Beleuchtung „nicht kurzfristig durch andere Maßnahmen ersetzt werden kann“?

Auch zur Frage offen stehender, also beheizte Luft nach draußen lassender Ladentüren hat das Regelwerk etwas zu sagen. Im etwas weiteren Sinne bringen uns die geöffneten Pforten aber auch wieder zum Lichtthema zurück: So haben Teile des Handels sich nicht nur verpflichtet, dann weniger zu leuchten, wenn ohnehin kein Geschäft zu machen ist. Einige gehen auch an die Öffnungszeiten selbst: Aldi Nord etwa schließt „zahlreiche“ – aber nicht alle – Filialen ab dem 1. November abends um 20 Uhr, also eine, teils sogar zwei Stunden früher als gewohnt – „und leistet damit aktiv einen Beitrag zum Energiesparen“, so die Pressestelle.

Sicher – eine zu beleuchtende und beheizende Stunde weniger, das wird sich irgendwie quantifizieren lassen, auch wenn das andere Kostenfaktoren unangetastet lässt: Die Ware kühlen etwa muss man ja trotzdem.

Gut möglich, dass der Discounter zuallererst seine zu dünn gewordene Personaldecke entlastet durch die ach so planetenfreundliche Maßnahme. Sei’s drum: Erste andere Supermärkte überlegen, ob sie mitziehen sollen, das meldet hie und da die Lokalpresse.

Was aber macht die vorerst nicht absolute, mal mehr, mal weniger merkliche Nichtbeleuchtung mit unseren Städten? Deren immer wieder besungenes, manchmal auch nur beanspruchtes Besonderes: Es hat sich immer auch ablesen lassen an ihren Lichtern. Wir sprechen von leuchtenden Metropolen, von den Lichtern der Großstadt. Sogar da, wo das Beschienene nicht so vorzeigbar ist, wo sie Sünde und Schmuddel illuminieren, bleiben – dann gern auch mal rote – Lampen von Bedeutung.

Bisher ziemlich unbeeindruckt von allen Sparvorgaben aus dem Bundeswirtschaftsministerium zeigt sich seit nun beinahe zwei Monaten, was sie in Hamburg den Kiez nennen, also das Ausgeh- und Prostitutionsviertel um die Reeperbahn herum. „Klar, dass die Beleuchtung wichtig ist, für den Standort und die Sicherheit“, das sagte Lars Schütze, Kopf der „Interessengemeinschaft St. Pauli“ Ende September dem Hamburger Abendblatt. Das Viertel ist demnach „ein Gesamtkunstwerk“, so Schütze weiter. „Wenn die Lichter ausgehen, ist die Stimmung weg, dann wird es schwierig.“

Das immer wieder besungene, manchmal nur beanspruchte Besondere der Städte: Es hat sich immer auch ablesen lassen an ihren Lichtern. Wir sprechen von leuchtenden Metropolen, von den Lichtern der Großstadt

Für eine zunehmend auf den Fremdenverkehr setzende Stadt ist das eine wichtige, gleichwohl nicht so einfach zu kalkulierende Größe, diese Stimmung. Etwas Ruch und Grusel braucht eine Ortsmarke wie St. Pauli, soll sie nicht verwechselbar werden mit irgendeiner Ansammlung von Kneipengassen – aber zu viel davon halt auch nicht: Das Musical- und Elbphilharmoniepublikum muss sich schon immer noch hierhertrauen.

Das Licht und die gefühlte Sicherheit

Überlegungen zum Lichtsparen, auch Streit darüber, sind älter als der russische Angriff auf die Ukraine: wegen der Folgen von zu viel Licht auf Mensch, Tier und Pflanze, wegen des Klimawandels. Zuverlässig angestimmt wird auch die Sorge wegen allzu dunkler Ecken. Mag auch der Zusammenhang zwischen viel Licht und viel Sicherheit so eindeutig nicht sein, die Verbindung zwischen Helligkeit und dem Gefühl von Sicherheit, die ist stabil. Und mit dem gezielten Kratzen an der gefühlten Sicherheit sind hier in der Stadt mit ­Hafen schon Wahlen gewonnen worden.

Der Frankfurter Geograf und Stadtforscher Jürgen Hasse wies 2007 auf eine mögliche kulturspezifische Grundlage des trügerischen Zusammenhangs hin: „In etymologischer Sicht sind alle mit dem Licht assoziierten und kulturell kommunizierten Bedeutungen positiv konnotiert.“ In der Tat werden etwa Hellsichtigkeit und Lichtbringer für gut erachtet, Schattendasein und Dunkelziffer dagegen nicht.

Ende August, da warf die Energiesicherungsverordnung noch ihren Schatten voraus, warnte der Handelsverband Deutschland vor zu viel Sparsamkeit. „Mit der Schaufensterbeleuchtung sorgen wir auch für Sicherheit und so­ziale Verantwortung in den Städten“, so Hauptgeschäftsführer Stefan Genth, gerade auch „in den weniger frequentierten Zeitfenstern“. Aber werden die „neuen Angsträume“, vor denen etwa der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul im September warnte, wirklich von zu wenig Licht in der Fußgängerzone verursacht? Oder nicht auch von anderen, schwerer zu ändernden Faktoren?

Manches fehlt doch: ausgeschaltete Reklametafel an der Holstenstraße

Stefan Genths Formulierung „weniger frequentiert“ ist ja eine freundliche Umschreibung für den Zustand vieler deutscher Innenstädte after dark: Wo jahrzehntelang alles verdrängt wurde, was kein lukrativer Gewerbemieter war, verwaist der sogenannt öffentliche Raum, wenn bald die Läden schließen. Was soll man denn dann auch da? Corona und das zeitweise Herunterfahren des Einkaufsbummels hat die Krise verschärft, aber nicht verursacht.

Überraschend nur auf den ersten Blick: Am Hamburger Jungfernstieg, zentral gelegener Ausläufer gehobener Shopping-City und tagsüber beliebter Tourist:innen-Anlaufpunkt, beklagten Anlieger und Polizei vor einigen Jahren ein abendliches Zuviel an Menschen, allerdings der falschen. Der Hinweis auf eine „Sprachmischung aus Arabisch und Farsi“ in der Berichterstattung sollte wohl tiefergehende Analysen ersetzen, und bei einem Teil des deutschen Publikums verfängt das ja auch.

Die Polizei stellte damals Masten mit Scheinwerfern auf, mehr Licht sollte die sich dort am Abend treffenden Menschen vertreiben. Freilich: „Warum die Prachtmeile mit Sonnenuntergang zur Problemzone wird“, das fragte die Hamburger Morgenpost Ende September erst.

Andere Strategie: Wie sich die Hamburger Innenstadt wieder zum Wohnen nutzen lassen könnte, darüber richtete die Stadt gerade erst eine partizipative „Stadtwerkstadt“ aus; in einem ehemaligen Kaufhaus, das für ein halbes Jahr subventioniert an Kreative vermietet wird und abends gerade auch ziemlich dunkel dasteht. Gleich daneben wird demnächst die Weihnachtsdeko aufgehängt. Die soll dieses Jahr wieder leuchten – Russlands Krieg hin, leere Gasspeicher her.