Diskussionsveranstaltung in Berlin: Abriss, der verbindet

Die Klima- und die Mietenbewegung diskutieren über gemeinsame Ziele. Kann der Kampf gegen spekulativen Abriss und Neubau sie vereinen?

Ein Bagger reißt gerade einen Plattenbau ab

Auch hier wird günstiger Wohnraum zerstört, weil er nicht profitabel genug ist Foto: dpa

BERLIN taz | Immobilien zu überhöhten Preisen kaufen, anschließend leer stehen und verfallen lassen, um dann mit Abriss und Neubau doch noch Profite rauszuschlagen: Das ist eine Spekulationsstrategie, die unter In­ves­to­r:in­nen in Berlin angesichts knapp werdender Baugrundstücke wieder beliebter wird, aber fatale ökologische und soziale Folgen mit sich bringt. „Gegen Abriss zu sein, heißt nicht nur, preiswerten Wohnraum zu schützen, sondern auch das Klima“, sagt Valentia Hauser, die Sprecherin der Initiative Leerstand-hab-ich-Saath. „Abriss war gestern schon scheiße.“

Die Initiative lud am Mittwochabend Ver­tre­te­r:in­nen von klima- und mietenpolitischen Gruppen in den Kiezraum auf dem Dragonerareal ein, um neue Bündnisse gegen Abriss und Neubau zu schmieden. Beteiligt waren auch der Berliner Mieterverein, das Bündnis Mietenwahnsinn und der Verein Watch Indonesia.

Was spekulativer Abriss bedeutet, wissen die Ak­tivis­t:in­nen von Leerstand-hab-ich-Saath aus eigener Erfahrung: Seit Jahren kämpfen sie für den Erhalt eines Plattenbaukomplexes in der namensgebenden Habersaathstraße in Mitte.

Weil die erneute Sanierung der erst 2008 renovierten Platte nicht profitabel genug ist, will der Investor die mehr als 100 bezahlbaren Wohnungen abreißen und durch Luxuswohnungen ersetzen. Ein Großteil stand jahrelang leer, nur wenige Mie­te­r:in­nen hielten es trotz dubioser Praktiken des Eigentümers dort aus. Nach zwei Versuchen gelang es der Initiative, das Haus im Dezember 2021 dauerhaft zu besetzen. Eine Gruppe zuvor wohnungsloser Menschen wohnt nun in dem Gebäude.

Doch um einer Niederlage im Rechtsstreit mit dem Eigentümer zuvorzukommen, unterzeichnete im Juni der damalige Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel (Grüne), die Abrissgenehmigung. Die neuen Be­woh­ne­r:in­nen dürfen noch bis März nächsten Jahres bleiben.

Soziale Bewegungen unter Druck

Trotz des drohenden Abrisses wird die Besetzung als ein Erfolg der stadtpolitischen Bewegung gesehen – ein zuletzt eher seltenes Erlebnis. Die vergangenen Jahre waren geprägt von Räumungen linker Projekte und juristischer Niederlagen, wie dem Einkassieren des Mietendeckels und des Vorkaufsrechts. Auch die Umsetzung des Volksentscheids Deutsche Wohnen und Co enteignen droht vom Senat verschleppt zu werden.

Die Besetzung der Habersaathstraße könne also als Blaupause für die sozialen Bewegungen der Stadt dienen, schlägt Hauser bei der Debatte vor: „Wir haben erfolgreich besetzt, ihr könnt das auch.“ Jeder Abriss müsse verhindert werden; als Mittel schlägt sie neben Besetzungen Baggerblockaden und andere Mittel des zivilen Ungehorsams vor. „Da wäre eine Klebeaktion richtig sinnvoll“, so Hauser mit einem Seitenhieb auf die jüngsten Blockaden der Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen der Letzten Generation.

Denn auch die Klimabewegung steht unter Druck. Die Demonstrationen von Fridays for Future haben an Dynamik verloren, der Ausbau fossiler Energieinfrastruktur infolge des Ukraine-Krieges schmälert die einstigen Erfolge das Blockade-Bündnisses Ende Gelände. Und die Kritik an den Aktionen der Letzten Generation hat eine neue Dimension erreicht, nachdem ein Rettungswagen wohl wegen einer Blockade zu spät zum Unfallort einer schwer verletzten Radfahrerin gelangte.

Dazu kommt, dass die Bewegung nach der Pandemie nur noch ein Viertel der Mobilisierungsstärke von 2019 besäße, schätzt Bewegungstratege Tadzio Müller. Vor diesem Hintergrund könne die Zusammenarbeit mit der Mietenbewegung ein attraktives Kooperationsangebot für die Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen sein: „Die Letzte Generation könnte dabei helfen, Räumungen und Abrisse zu verhindern und somit ihr Image verbessern.“

Zusammen gegen die A100

Inhaltlich gibt es mehr als genug Anknüpfungspunkte zwischen den Mieten- und Klimabewegung. Über 40 Prozent der gesamten CO2-Emissionen in Deutschland werden vom Gebäudesektor verursacht, wovon wiederum ein Großteil vom Bausektor verursacht wird, berichtet die Präsidentin der Berliner Architektenkammer Theresa Keilhacker bei der Diskussion. Allein die Produktion von Beton verursache Unmengen an CO2. Keilhacker spricht deshalb von „grauer Energie“, die in alten Gebäuden gespeichert ist und mit einem Abriss verloren geht. Dazu kommt die Zerstörung von ökologisch wertvollen Flächen durch den Abbau von Sand und anderen Baumaterialien. Sanierung und die Entwicklung von Bestandsstrukturen seien fast immer sinnvoller als Abriss und Neubau.

„Der Abriss der Habersaathstraße wäre ein Rückschritt bei der Rettung grauer Energie“, sagt Keilhacker. Zusammen mit anderen kritischen Architekt:innen, In­ge­nieu­r:in­nen und Wis­sen­schaft­le­r:in­nen hatte sie im September in einem offenen Brief an Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) ein „Abrissmoratorium“ gefordert – sprich Abriss nur in Ausnahmefällen zuzulassen. Derzeit gäbe es kaum rechtliche Möglichkeiten, den Abriss von Wohnraum oder Gewerbe zu verhindern, sagt Keilhacker.

Dabei ist die Frage der energetischen Sanierung von Altbauten einer der Gründe, warum es bisher zu keinem Schulterschluss zwischen Klima- und Mietenbewegung gekommen ist, mutmaßt Tadzio Müller. „Es war immer die Angst der Klima­bewegung, dass das dann auf die Mieten aufgeschlagen wird.“ Tatsächlich werden energetische Sanierungen gerne von Ei­gen­tü­me­r:in­nen genutzt, um Mieten an der Mietpreisbremse vorbei zu erhöhen. Die Modernisierungsumlage erlaubt, acht Prozent der Kosten dauerhaft auf die Mieten aufzuschlagen.

Besser sollten sich die beiden Bewegungen auf konkrete Kämpfe fokussieren, die für beide relevant sind. So könne man gegen die Verlängerung der A100 „massenhaften Widerstand errichten“ sagt Müller, vergleichbar mit den Protesten gegen die Abholzung des Hambacher Waldes. Ein Weiterbau der Stadtautobahn durch Friedrichshain hindurch, wie vom Bundesverkehrsministerium geplant, würde den großflächigen Abriss von Kultur- und Wohnraum bedeuten. „Ganz Berlin hasst die A100“ – davon ist Müller überzeugt.

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