Eine Menschenmenge

Volle Zustimmung bei einer Kundgebung des republikanischen Gouverneurskandidaten Doug Mastriano Foto: Mark Peterson/Redux/laif

Midterm-Wahlen in den USA:Brennglas Pennsylvania

In den USA sind Zwischenwahlen. Welche Partei holt die Mehrheit im Kongress? Das könnte sich in dem nordöstlichen Swing State entscheiden.

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Aus lancaster, 4.11.2022, 08:28  Uhr

Ein Klopfen hallt über das Stoppelfeld. Zwei Dutzend Männer, alle mit dem gleichen Topfhaarschnitt, Vollbart und Strohhut, sitzen rittlings auf den Balken eines Dachgiebels und hämmern Holzteile fest, die ein Kran zu ihnen hochhievt. In kurzen Abständen rutschen sie auf den Hosenböden ein paar Fuß weiter an die Stelle für die nächste Querstrebe. Vom Vorplatz aus beobachten Frauen mit weißen Kopfhäubchen und Schürzen über wadenlangen Kleidern das Geschehen. Sie sind umgeben von spielenden Jungen und Mädchen, die wie Miniaturversionen der Erwachsenen gekleidet sind.

Amische aus den umliegenden Bauernhöfen sind zusammengekommen, um eine Scheune wieder aufzubauen. Nachdem die Scheune der Verdant View Farm Mitte September ausbrannte, haben die Nachbarn Trost gespendet und Geld gesammelt, jetzt packen sie tatkräftig zu. Der Wiederaufbau ist zugleich ein Fest, bei dem die Nachbarn füreinander da sind. Nach einem gemeinsamem Arbeitstag im Oktober ist der Dachstuhl im Rohbau fertig.

In Rufweite dieses Idylls, am anderen Ende des Stoppelfeldes, steht ein großes Schild, das ein Obstbauer am Straßenrand von Paradise Lane aufgestellt hat. „Wählt die anti-amerikanischen Sozialisten ab“, ist darauf zu lesen. Sowie eine Klageliste über: „offene Grenzen“, „40 Jahre Inflation“, „5 Dollar pro Gallone Benzin“ und Schulen, die über Rassismus im Unterricht sprechen. Das Schild soll Doug Mastriano, der als Govaneurs-Kandidat für Pennsylvania antritt, unterstützen.

Neben dem Gouverneurs-Kandidaten Mastriano nimmt sich selbst Ex-Präsident Donald Trump wie ein Softie aus. Mastriano will den Kohlebergbau und das Gasfracking in Pennsylvania stärken und alles verbieten, das nicht in ein konservatives evangelikales Weltbild passt: Ehen und Adoptionen von gleichgeschlechtlichen Paaren, Aufklärungsbücher, Abtreibungen, Geschlechtsumwandlungen. Er hat auch Wahlmaschinen und die Briefwahl im Visier. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Wahlkampf mit zwielichtigen Mitteln

Am 6. Januar 2021 stand auch Mastriano vor dem Kapitol in Washington. In unmittelbarer Nähe rannten vor ihm andere gegen die Barrieren der Kapitol-Polizei. Nachdem er beteuerte, er habe den Schauplatz verlassen, bevor die Gewalt begann, kamen Videos an die Öffentlichkeit, die das Gegenteil zeigten. Auch die Frau, die Mastriano als Staatssekretärin für Pennsylvania erwägt, war an diesem Tag in Washington. Toni Shuppe betreibt eine NGO, die sich mit Wahlfälschungen beschäftigt und weiterhin darauf pocht, dass Trump die Wahlen 2020 gewonnen hat. Als zukünftige Staatssekretärin wäre sie für die ordentliche Abwicklung von Wahlen in Pennsylvania zuständig.

Seinen Wahlkampf hat Mastriano auf der Plattform „Gab“ bestritten, wo sich alle möglichen Rechtsradikalen tummeln. Bei Veranstaltungen verteilt er Fotos von unliebsamen Reportern (darunter Kollegen von CNN und Philadelphia Inquirer) an die Ordner, die sie abwimmeln sollen. Und dem demokratischen Bewerber für das Gouverneursamt, dem bisherigen Justizminister von Pennsylvania, Josh Shapiro, wirft Mastriano „Elitismus“ vor. Unter anderem, weil er seine Kinder auf eine jüdische Schule schickt. Als ein israelischer Journalist fragt, ob er antisemitisch sei, lässt Mastriano seine Frau Rebecca antworten. „Wir lieben Israel vermutlich mehr als die meisten Juden“.

In Pennsylvania, einem der Bundesstaaten, die zwischen Demokraten und Republikanern hin und her schaukeln, können die Wähler am 8. November 2022 möglicherweise über die Mehrheit im künftigen US-Kongress entscheiden. Sollten sie trotz aller Bedenken den Demokraten John Fetterman in den US-Senat wählen, könnte Joe Biden möglicherweise eine Mehrheit behalten. In Pennsylvania zeigt sich aber auch, wie dicht das Netzwerk von Trump-Unterstützern und konservativen Evangelikalen geworden ist. Wie viele Zweifel an Wahlen, an wissenschaftlichen Erkenntnissen und an historischen Fakten sich in den Köpfen breit gemacht haben. Und wie porös das Vertrauen in die Demokratie geworden ist.

Im Wahlkreis 11, der sich zu großen Teilen mit Lancaster County deckt, werden voraussichtlich auch dieses Mal wieder die Republikaner siegen. In Lancaster sind zwei Dinge für politische Karrieren wichtig: Religion und eine Mitgliedschaft in der republikanischen Partei. Doch ist die Republikanische Partei dieser Midtermwahlen nicht mehr dieselbe wie vor 2016. Die Präsidentschaft von Donald Trump hat tiefe Keile in sie getrieben. Radikale haben die Oberhand gewonnen. Von den alten Republikanern haben manche die Partei verlassen. Andere sind auf Tauchstation gegangen.

Vom Republikaner zum Demokraten

Für Bob Hollister war die Republikanische Partei jahrzehntelang das politische Zuhause. Das endete schlagartig am 7. Januar 2021. Es war der Tag, nachdem die Kapitolstürmer, die dem Aufruf von Trump nach Washington gefolgt waren, versucht hatten, die Bestätigung der Wahl von Präsident Joe Biden durch die beiden Kammern des US-Kongresses gewaltsam zu verhindern.

Wegen der Zerstörungen und der Gewalt im Kapitol, die fünf Menschenleben kostete, musste die Bestätigung der Präsidentenwahl auf den nächsten Tag verschoben werden. Als die beiden Kammern schließlich zusammenkamen, machten sich 147 Republikaner die Behauptung Trumps über die „gestohlenen Wahlen“ zu Eigen. Acht der damals 51 republikanischen Senatoren und 139 der 221 republikanischen Abgeordneten im US-Repräsentantenhaus stimmten gegen die Bestätigung von Joe Biden. Sie weigerten sich das Ergebnis von demokratischen Wahlen in den USA anzuerkennen. Und zwar, obwohl Wahlbeamte (sowohl Demokraten als auch Republikaner), obwohl Richter (darunter solche, die Trump ernannt hatte), und obwohl nationale und internationale Beobachter die Wahlen für legitim und korrekt erklärt hatten.

Menschen mit Wahplakaten

Wollen Gräben überwinden: Pastor Doug Pagitt (4. v.l.) und Demokrat Bob Hollister (5.v.l.) Foto: E.Cox

Für Hollister war dieser Tag der „Wendepunkt“ in seinem politischen Leben. „Mein eigener Kongressabgeordneter“, sagt er, „hat gegen die Zertifizierung der meist überprüften Wahlen in der Geschichte des Landes gestimmt.“ Hollister verließ die Republikanische Partei. Eineinhalb Jahre später ist der 55-Jährige der offizielle Kandidat der Demokraten in Lancaster County.

An einem Abend zwei Wochen vor den Wahlen steht Hollister in der evangelischen St. Matthews-Gemeinde in Grandview Heights vor 20 Wählern. Seine Umfragewerte sind nicht gut. Sein Wahlkampfetat ist vergleichsweise winzig. Kurz vor Ende der Kampagne hat er laut der gemeinnützigen Organisation „Open Secrets“ nicht einmal mehr 100.000 Dollar übrig. Sein republikanischer Konkurrent, der gegenwärtige republikanische Abgeordnete Lloyd Smucker, hingegen hat noch eine knappe Million in der Kasse. Doch Hollister glaubt, dass er auch andere enttäuschte Republikaner abholen kann. „Nutzt diese letzten Tage“, fordert er sein Publikum auf: „telefoniert Euer A-dressbuch durch, klopft an Haustüren, bringt Eure Nachbarn und Freunde mit zur Wahl“. Dann rät er ihnen: „Lasst Euch nicht einschüchtern.“

Amische mit erhobenem Daumen

Bis zum letzten Jahr war Hollister Superintendent, der oberste Boss in einem Schulbezirk. Er ist ein Macher und Problemlöser. Ein Zentrist. Erst kürzlich hat er eine positivere Haltung zu Gewerkschaften entwickelt. Er selbst beschreibt sich als „moderat“ und „kapitalistisch“. Seine früheren Parteifreunde nennen ihn einen „radikalen Linken“. Mit diesem Etikett und den Worten: „zu ex-trem“ versuchen Republikaner quer durch die USA Demokraten zu disqualifizieren.

Der Begriff

Midterm Elections bezeichnet den Wahlgang zur Mitte der 4-jährigen Amtszeit des US-Präsidenten. Sie finden genau wie die Präsidentschaftswahl immer am ersten Dienstag nach dem ersten Montag im November statt, dieses Jahr am 8.11.

Was wird gewählt?

Grundsätzlich stehen ein Drittel der 100 Senatorenposten (diesmal: 35) und alle 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses zur Wahl. Se­na­to­r*in­nen werden für sechs, Abgeordnete für zwei Jahre gewählt. Dazu kommen diesmal Gouverneurswahlen in 36 Bundesstaaten und 3 Überseegebieten, zusätzlich unzählige weitere Posten auf Staatenebene, darunter etliche Secretary of State – die unter anderem für die Durchführung der Präsidentschaftswahl 2024 verantwortlich sind.

Was ist wichtig?

Traditionell verliert bei den Midterms jene Partei an Stimmen, die das Weiße Haus kontrolliert. Da die Demokraten nur knappe Mehrheiten in beiden Kammern halten, würden Verluste für sie bedeuten, dass Präsident Joe Biden die nächsten zwei Jahre ohne Mehrheit regiert und kaum wichtige Gesetzesvorhaben durchbringen könnte. (pkt)

Republikaner Smucker kam in einer amischen Familie zur Welt. Doch als er fünf Jahre alt war – lange vor dem Alter, in dem Amische getauft werden – verließen seine Eltern die Gemeinschaft. Jahre später knüpfte Smucker im Rahmen seiner politischen Karriere – zunächst im Senat von Pennsylvania, seit 2017 im US-Repräsentantenhaus – wieder bei den Amischen an. 2020 zahlte sich das auch für Trump aus. Bei einem Meeting in Lancaster konnte er grinsend auf ein paar Männer in traditioneller Kleidung verweisen, die mit erhobenem Daumen hinter ihm standen. Außer Trump waren sie die einzigen Personen ohne Masken im Bild. Auf manchen der von Pferden gezogenen schwarzen Buggies, die auf den Seitenstreifen der Landstraßen in Lancaster County unterwegs waren, tauchten damals Trump-Poster auf. Es war ein Triumph. Die Amische genießen Steuerbefreiungen und Gesetze, die ihren isolierten Lebensstil möglich machen. Seit Generationen hatten sie sich an ihre ungeschriebene Regel gehalten: „Wir wählen nicht. Aber wir beten repu­blikanisch“. Nur wenn es um Landwirtschafts-Themen ging, ließen sie sich gelegentlich in Wahllokalen sehen.

Vor den aktuellen Midterms macht Smucker einen versteckten Wahlkampf. Er geht in Privathäuser. Er lädt sich selbst in Betriebe ein, wo er mit der Belegschaft sprechen kann. Öffentliche Meetings aber meidet er. Auch für Interviews steht er nicht zur Verfügung. „Eine Wahlkampfveranstaltung?“ Zwei Wochen vor den Midterm-Wahlen reagieren die jungen Männer am Eingang des Büros der republikanischen Kandidaten am Ortsrand von Lancaster City irritiert, so als wäre die Frage abwegig. Heute machen sie „Phonebanking“ für ihre Kandidaten. Erinnern Wähler telefonisch daran, „dass Wahlen kommen“. Und händigen Schilder mit den Namen ihrer Kandidaten aus, die man dann in den Rasen der Vorgärten stechen kann. Von öffentlichen Meetings im County aber wissen sie nichts. Auf telefonische Anfragen reagieren sie nicht, wimmeln die Reporterin an der Haustürschwelle ab. Einer überreicht eine handgeschriebene Email-Adresse ohne Namen. Auch von dort gibt es keine Rückmeldung.

Pastor Doug Pagitt

„Ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages mein Land bereisen würde, um es gegen aufständische und christliche Nationalisten zu verteidigen“

Verschlossen bleibt auch die LifeGate-Kirche in Elizabethtown. Sie ist einer der Orte in Lancaster County, wo evangelikale Dogmen und Trumps Politik zusammenkommen. Auch Leute aus dem Team von Gouverneurskandidat Mastriano beten und diskutieren dort. 2016 waren die konservativen Evangelikalen in den USA der größte Wählerblock für Trump. 2020 hielten sie ihm die Treue.

Die Trump-Unterstützer von Elizabethtown

Am 6. Januar 2021 organisierte eine Sekretärin der LifeGate-Gemeinde in der Kleinstadt Elizabethtown vier Busse voller Trump-Unterstützer, die Trumps Aufruf nach Washington folgten, um dort gegen den angeblichen „Diebstahl der Wahlen“ zu protestieren. Pastor Don Lamb sieht die Kirchen, die Welt und die Medien in einer schweren Krise. Aber ein Interview will er nicht geben. „Ihr Narrativ steht eh fest“, schreibt er, „und es ist eng und nicht informativ“.

Für Danielle Lindemuth, die Sekretärin, die im Januar 2021 in der Gemeinde arbeitete und die vier Busse nach Washington organisierte, und ihren Mann Stephen, der ebenfalls nach Washington fuhr, hat seither eine politische Karriere begonnen. Ende 2021 kandidierten die Eheleute für den Schulausschuss in Elizabethtown. In ihrem Wahlkampf sprachen sie sich gegen Jugendromane über Polizeigewalt und gegen Black-Lives-Matter-Diskussionen im Unterricht aus. Sie waren auch gegen den Maskenzwang für Schüler.

Die Lindemuths finanzierten 1.000 Dollar ihres Wahlkampfes aus eigener Tasche, die Republikanische Partei steuerte etwa weitere 20.000 Dollar bei. Beide wurden gewählt. Nur Wochen später protestierten Eltern in Elizabethtown gegen Einsparungen beim Kunst- und Sportunterricht, die von den beiden neuen Schulausschussmitgliedern unterstützt wurden.

Über den 6. Januar 2021 wollen die Eheleute nicht mehr reden. „Das war ein Tag“, sagt Danielle Lindemuth. Der sei „schon lange her“. Und der habe keinen Einfluss auf ihr heutiges Tun. Um das Thema abzuschließen, trägt sie eine – so scheint es – auswendig gelernte Erklärung vor: „Wir haben an einer Kundgebung teilgenommen und wir haben unser Grundrecht auf Meinungsfreiheit ausgeübt. Wir dulden keine Gewalt und waren nicht an solcher beteiligt“. Jede weitere Frage über den 6. Januar, droht sie, würde zum sofortigen Ende des Gesprächs führen.

Wertekompass sind die Bibel und die US-Verfassung

Im aktuellen Midterm-Wahlkampf unterstützt Danielle Lindemuth den Gouverneurskandidaten Mastriano. Sie trägt seinen Namen als schillernde Brosche am Revers. Sie teilt seine Anliegen. Darunter das totale Abtreibungsverbot „ab der Empfängnis“ und seine Idee von der öffentlichen Schule, in der „Schöpfung und Evolution gleichberechtigt unterrichtet werden müssen. Weil beides Theorien sind“. Dass er wie sie Busse nach Washington organisiert hat, gehört nicht zu den Gemeinsamkeiten, die sie aufzählt.

Stephen Lindemuth ist Aushilfslehrer an Schulen. Er predigt gelegentlich in der LifeGate-Kirche. Selbst bezeichnet er sich als „verfassungskonservativ“. Für ihn zählt ein „starkes Militär, eine starke Polizei, eine kleine Regierung und wenig Steuern“. Wenn ihn jemand einen „christlichen Nationalisten“ nennt, korrigiert er die Formulierung zu: „christlicher Patriot“. Damit kann er gut leben. Er ist froh über Trumps erste drei Amtsjahre, in denen er mehr erreicht habe „als andere Präsidenten in zwei kompletten Amtszeiten“. Und er würde ihn wieder wählen, falls er 2024 erneut kandidiere. Doch Stephen Lindemuth hält Trump für ersetzbar. „Er hat“, so sagt er, „viel Ballast, das schreckt Leute ab“. Andere Politiker, darunter der Gouverneur von Florida Rom DeSantis, könnten an seine Stelle treten.

Die Bücher, auf die sich die Lindemuths beim Gespräch beziehen, sind die Bibel und die US-Verfassung. Beide Texte interpretieren sie so, wie sie glauben, dass sie zum Zeitpunkt ihres Entstehens gemeint waren. Wo Präsident Joe Biden Gefahren für die Demokratie in den USA sieht, sagt Danielle Lindemuth, dass davon in der Verfassung keine Rede ist: „Dies ist eine repräsentative Republik. Die Demokratie ist darin enthalten“.

Bei einem Zwischenhalt der evangelikal-konservativen Roadshow „Reawaken America“ wenige Wochen vor den Wahlen zeigt sich die zahlenmäßige Stärke der Evangelikalen in Lancaster. Tausende Menschen sind für zwei Tage in das Sportzentrum am Rand von Lancaster City gekommen. Mindestens einhundert von ihnen steigen in eine schwarze Plastikwanne, um sich an Ort und Stelle taufen zu lassen. Trumps Sohn Eric telefoniert vom Podium aus mit seinem Vater. Religiöse Prediger am Mikrofon identifizieren Demokraten als „dämonisch“ und fragen das Publikum, ob es bereit sei, für Gott zu kämpfen. Auch Gouverneurskandidat Mastriano stand auf dem Programm. Doch bleibt er der Veranstaltung fern.

Wahrheit, Nächstenliebe und Gott den Verlorenen

„Kommt nach Hause zurück“, singt Daniel Deitrich ein paar Tage später in Lancaster City. Seine „Hymne für die 81 Prozent“ ist das Klagelied von einem, der seine spirituelle Heimat verloren hat. Er richtet sich an die Evangelikalen, die für Trump gestimmt haben. Er singt von Kindern in Käfigen, von Religion als Waffe und von Hass. Und er fleht seine evangelikalen Glaubensschwestern und – brüder an, sich auf ihre Werte zu besinnen: Wahrheit, Nächstenliebe, Gott.

Als Deitrich seinen Song veröffentlichte, feuerte ihn seine damalige Arbeitgeberin, die South Bend-City-Kirche in Indiana. Doch ein evangelikaler Pastor aus Minnesota horchte auf. Doug Pagitt gehört zu dem kleinen liberalen Flügel der evangelikalen Gruppen. Er bot dem Sänger einen neuen Job an. Seit April 2021 tingeln die beiden nun zusammen mit weiteren Pastoren und Musikern durch den Mittleren Westen und entlang der Ostküste. Sie wollen die Gräben überwinden, die durch ihre Kirchen gehen. Wollen den Liberalen Mut zusprechen und die verlorenen Schäfchen zurückholen. Auf ihren orangefarbenen Bus haben sie das Motto ihrer Tour: „Glaube, Hoffnung, Liebe“ geschrieben.

„Ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages mein Land bereisen würde, um es gegen aufständische und christliche Nationalisten zu verteidigen“, sagt Pastor Doug Pagitt bei dem Halt in Lancaster. Ein paar Dutzend Wähler sind in das Groff-Zentrum gekommen. Die meisten sind „in der Kirche aufgewachsen“. Viele haben jahrzehntelang die Republikaner gewählt. Alle können nachvollziehen, was die Redner und Sänger mit dem „Schock von 2016“ meinen.

Auch die Brethren-Gemeinde in der Kleinstadt Elizabethtown sorgt sich über den wachsenden politischen Einfluss und die Intoleranz der konservativen Evangelikalen. „Jesus hat keine Lieblingsnation“, schreiben sie drei Wochen vor den Midterms in einer ganzseitigen Anzeige in einem Lokalblatt. Der Text warnt vor „christlichem Nationalismus“ und dem Glauben, dass eine bestimmte Art von Christentum „anderen Religionen überlegen wäre“. Die Gruppe „Lancaster Stands Up“ versucht ebenfalls, linke Positionen im konservativen County hoch zu halten. Einer der drei Festangestellten ist Duncan Hopkins. Mangels Alternativen wird er den moderaten Demokraten Bob Hollister am 8. November wählen.

Demokrat mit langem Atem

Duncan Hopkins ist 25 Jahre alt. Er nennt es „hart, ein junger Amerikaner zu sein“ und beschreibt seine wirtschaftliche Perspektive so: „Meine Generation kann nicht mehr von einem Eigenheim mit weißem Zaun träumen. Die meisten von uns verdienen gerade mal genug, um die Miete zu zahlen, haben Studienschulden und oft nicht einmal eine Krankenversicherung.“

Trotzdem ist Duncan Hopkins optimistisch, dass eine Veränderung der Demokratischen Partei möglich ist. In seiner Freizeit läuft Duncan Hopkins bis zu 60 Meilen Cross Country. Er hat zwei Präsidentschaftswahlkämpfe für Bernie Sanders begleitet und zwei Niederlagen eingesteckt. Hopkins beweist einen langen Atem: „Wenn wir nichts tun, dann ist die Demokratie vorbei“.

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