berliner szenen
: Nein und noch mal nein

Neulich in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Florentina Holzingers „Ophelia’s Got Talent“ gesehen. Vom Platz in der Saalmitte zielt mein Blick hinab zur Bühne – ins Tal der Vulven: unbehaarte und behaarte, kleine, große, schmale, dicke. Splitternackt spielen die Frauen, hemmungslos, und das zeigt Wirkung. Vor mir ein älteres Paar. Sie stören nicht wirklich, verbreiten aber Unruhe, fighten während der langen Vorstellung immer wieder in scharfem Flüsterton. Kaum geht der Vorhang auf, zischt die Frau schon: „Lass das!“ Aber immer wieder fummelt ihr Mann an irgendwas herum. „Nein! Nicht hier!“, herrscht ihn die Frau an.

Neugierig peile ich ihm über die Schulter. Zu meiner Erleichterung nichts Anstößiges. Bald steigert sich seine Unrast, hin und her quält er sich auf dem Sitz, nestelt im Schutz der Dunkelheit in seiner Manteltasche auf dem Schoß. Der Schoß kann ja eine nützliche Fläche für allerlei handwerkliche Verrichtungen sein, wenn kein Tisch vorhanden ist. Unsere Laptops heißen ja zum Beispiel so, weil sie auf dem Schoß verwendet werden können. Ich sehe da aber keinen Laptop. „Nein! Nein! Nein!“, schimpft die Frau. Gegen Ende des Stücks – an Drahtseilen unterm Bühnenhimmel hängend vögelt eine Schar nackter Performerinnen unter irrem Gestöhne einen gelben echten Helikopter – hält es der Mann nicht mehr aus und offenbart sein Geheimnis: Die ganze Zeit über will er sein Handy aus der Tasche grabbeln und heimlich knipsen.

Dann, bei den Standing Ovations im Schlussapplaus, wittert der Mann seine letzte Chance: aufstehen und im begeisterten Publikumsjubel ganz schamlos die Nackten abschießen. Seine Frau beharrt: „Du alter weißer Mann knipst hier nicht! Nicht, solange ich dabei bin! Peinlich. Punkt.“

Guido Schirmeyer