orte des wissens
: Vom Sprengstoff zur KI

Seit 2021 heißt das Helmholtz-Zentrum in Geesthacht „Hereon“ und forscht zu Klimawandel und Nachhaltigkeit. Bis dahin gab's vor allem Atom- und Materialforschung

Es ist ein geschichtsträchiger Ort, das Gelände, auf dem heute das Geesthachter Helmholtz-Zentrum „Hereon“ beheimatet ist: Einst betrieb Alfred Nobel dort am Elbufer, im ‚Pulverfass Deutschlands‘, seine erste Dynamikfabrik. Die Nazis produzierten dort Rüstung und Sprengstoff, 1946 wurden die Anlagen demontiert. Noch heute findet man auf dem Gelände die einstige Dynamitlagerhalle und jede Menge Gift im Boden. Ein anderer Teil des Geländes ist jetzt ein Waldstück, auf dem Rest steht das Atomkraftwerk Krümmel.

Geforscht wird dort schon lange. 1956 wurde die Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schifffahrt (GKSS) gegründet, Mitgründer waren auch die Atomphysiker Kurt Diebner und Erich Bagge. Beide hatten im Zweiten Weltkrieg an der Entwicklung deutscher Atomwaffen gearbeitet. 1958 entstand ein 5-MW-Forschungsreaktor, 1963 ein zweiter mit 15 MW. Hauptprojekt war die Erforschung eines Atomenergieantriebs für die zivile Schifffahrt. 1968 lief tatsächlich der Nuklearfrachter „Otto Hahn“ vom Stapel. Nur ein paar Jahre später aber war klar: Wirtschaftlich lassen sich solche Schiffe nicht betreiben.

Mitte der 1970er wurde stattdessen Reaktorsicherheit zum Thema. Man bestrahlte Stahlproben für Reaktordruckbehälter, immer wichtiger wurde dann die Werkstoffforschung. Entwickelt wurden etwa Prüf- und Analyseverfahren, mit deren Hilfe sich die Mikrostruktur von Materialien untersuchen lässt. Heute passiert das mit Neutronen und Synchrotronstrahlung, durchgeführt wird die Forschung auch in München und am Hamburger Desy.

Seit einem Jahr nun heißt es „Helmholtz-Zentrum Hereon“. „Hereon“ steht dabei für Helmholtz, Resilienz und Innovation, man wolle jetzt „Spitzenforschung für eine Welt im Wandel“ betreiben, Wissen und Technologien erforschen „für mehr Resilienz und Nachhaltigkeit – zum Wohle von Klima, Küste und Mensch“, so umreißt das Zentrum seine „Mission“. Angesichts von Ressourcenverknappung, Klimawandel und Bevölkerungswachstum wolle man die „Politik in den Entscheidungen für eine bessere Umwelt wissenschaftlich beratend unterstützen“.

Dafür betreiben drei Institute mit 1.100 Beschäftigten und einem jährlichen Etat von 100 Millionen Euro Experimentalstudien, Modellierungen und künstliche Intelligenz. Die interdisziplinär beackerten Forschungsfelder sind dabei weit: Meeres-, Küsten- und Polarforschung betreiben die Geest­hach­te­r*in­nen ebenso, wie sie zu regenerativer Medizin forschen.

Ungeklärt ist bis heute, welche Rolle die beiden nun stillgelegten Forschungsreaktoren auf dem Gelände nicht nur für die Verschmutzung der Umwelt, sondern auch für den „Leukämiecluster Elbmarsch“ spielen, also die signifikante Häufung von Leukämieerkrankungen bei Kindern, die dort seit langem beobachtet wird. Neben dem Einfluss des Atomkraftwerks wird dabei sogar von „geheim gehaltenen kerntechnischen Sonderexperimenten auf dem GKSS-Gelände“ geraunt, die mitverantwortlich sein könnten. Robert Matthies