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: „Es entwickelt sich eine Form. Oder auch mal keine“

Seit bald 40 Jahren lässt die Impro-Band Passierzettel in Hamburg vor Weihnachten Spontankompositionen entstehen

Foto: privat

Thomas Siebert

geboren 1963, ist Artist, Improvisateur, Entwickler, Tonfritze und Autodidakt. Sein Motto ist: „Musik ist, wenn man trotzdem lacht“.

Interview Tim Schomacker

taz: Herr Siebert, fast ritualhaft vorweihnachtliche Konzerte zu spielen, immer am selben Ort. Und dann aber improvisieren oder Spontankomposition. Wie passt das zusammen?

Thomas Siebert: Das ist wie ein Gespräch. Da macht sich ja auch keiner Gedanken, dass man sich verabredet, aber das nicht alles vorher verabredet ist, was wer wann sagt oder ob es da ein Thema gibt. Keiner stellt beim Gespräch infrage, dass da was Vernünftiges bei rauskommen kann. Zum konstruktiven Musikmachen bringt auch jeder mit, was er gerade hat.

Was macht die Atmosphäre aus?

Die Astra-Stube hat was Familiäres, wir fühlen uns da wohl. Das ist eine Gegend, wo viele Leute rumlaufen, auch spontan mal vorbeikommen. Früher war das ein ziemlich huddeliger, bisschen verqualmter Laden. Es ist da immer noch sehr lebendig. Das passt ganz gut, offen und gemütlich zugleich. Der Laden ist kompakt genug für unsere Musik.

Mit Renke Pannemann ist erstmals ein neuer Bassist auf der Bühne dabei. Wie sind die ersten gemeinsamen Trainingseindrücke?

Der besondere Reiz ist, dass wir jemanden haben, der kontinuierlich Bass spielt. Ansonsten klassische Rockformation mit leichten Erweiterungen: Querflöte, Rahmentrommel. Wir haben ja viel mit Gästen und in wechselnden Besetzungen gespielt. Das hilft, dass es nicht langweilig wird. Aus jeder Konstellation ergeben sich neue Anforderungen und Anregungen. Eine Zeit lang habe ich meine Gitarre vor jedem Stück verstimmt, damit das Instrument mich überrascht. Wir brauchen diese Herausforderungen, immer was Neues zu entdecken.

Finden Sie bei Spielen die Form? Oder findet die Form Sie?

Es kann sich ein Thema ergeben. Es entwickelt sich eine Form. Oder auch mal keine. Manchmal ist das ein durchgehendes Ding, mal ergeben sich Strophe-Refrain-Formen. Das ist offen. Es ist interessant, wie unterschiedlich das, was sich da entwickelt, von den Leuten aufgenommen wird. Ob getanzt wird, zum Beispiel. Die Atmosphäre beeinflusst dann wieder das Bühnengeschehen.

Konzert „Weihnachten mit Passierzettel“: heute, 21 Uhr, Hamburg, Astra-Stube, Max-Brauer-Allee 200; https://passierzettel.blogspot.com

Müssen Sie manchmal lachen, wenn Sie die Stimme, den Text hören? Der entsteht ja auch spontan.

Die Stimme ist über die Jahre mehr zum Klang geworden, auch durch elektronische Verfremdungen. Manchmal kriegt man das gar nicht so mit. Dann weht ein Fetzen rüber, da muss ich schon auch mal Schmunzeln. Es ist wie ein Schwebezustand, man konzentriert sich zugleich aufs Spielen und ist wie in einer Meditation. Wenn man zu sehr auf das reagiert, was man selbst macht und fast wie zu so einem außenstehenden Beurteiler wird, denkt man vielleicht: Das ist ja toll – aber der Moment geht dann kaputt.

Große Impro-Schwierigkeit: gemeinsam Enden finden! Gibt’s dafür bei Passierzettel auch ein Ritual?

Das klappt mal, mal klappt das auch nicht. Es kommt darauf an, in welcher Art und Weise man gerade aufmerksam ist, ob man zum Beispiel Blickkontakt hat oder gerade eher per Ohr dabei ist. Manche musikalischen Formen legen einen bestimmten Schluss einfach nahe. Aber manchmal ist das auch ganz schön und stimmig, wenn einer noch so hinterherpoltert oder es stolpert oder einen Knacks gibt. Das macht auch das Konzert-Live aus. Bei einer Plattenproduktion kannst du ja einfach schneiden. Hier weiß man auch das Ende eben nicht vorher.