Saskia Hödl Kinderspiel
: Das Stampfen der kleinen Nervensysteme

Foto: Fo­to:­privat

Es ist Schlafenszeit. Während ich schreibe, rennen die Kinder vom Bad ins Kinderzimmer nebenan. Geschrei, Gelächter. Stampf, stampf, stampf, stampf. Wie eine kleine Elefantenherde auf Fischgrätparkett.

In Gedanken schicke ich gute Energie an die Nachbarn unten. Wenn die wüssten, wie oft ich an sie denke. Wie oft ich „Pssst“ und „Bitte leiser gehen“ sage. Aber es hilft nichts, es sind Kinder – leise ist nicht die Zeitzone, in der sie leben. Das Einzige, was passiert, wenn ich „Pssst“ sage, ist, dass sich der bald Zweijährige die Kuppe seines Zeigefingers auf die Nasenspitze legt und auch „Pssst“ sagt. Dann ist er leise für drei Sekunden. Das war’s.

Ich muss aufpassen, dass ich nicht zu oft „Pssst“ sage, denn ich bin sehr geräuschem­pfindlich und irgendwann wird es lächerlich. Die Kinder müssen leben dürfen. Nebenan kreischen und kichern die beiden gerade um die Wette. Sie springen auf dem Bett. Ich habe hier natürlich gut reden und Noise-Cancelling-Kopfhörer. Ich bin sicher, die wurden für Eltern entwickelt. Oder für Nachbarn von Eltern. Die Kinder kosten ihren Vater gerade alle Nerven, die er nach seinem Arbeitstag noch hat. Es ist, als hätten sie einen kleinen Sensor eingebaut, der misst, wie viel Lebensenergie man abends noch übrig hat, nur um sie dann auf ex zu saufen.

Ich habe letztens gelesen, dass viele Kinder gar nicht anders können, als sich abends so aufzuführen. Dass dieses Durchdrehen vor dem Schlafengehen dazu dient, Spannung abzubauen, das Nervensystem zu regulieren. Ich konnte dazu auf die Schnelle keine wissenschaftliche Abhandlung finden. Aber der Gedanke ist interessant, und waren wir als Kinder nicht genauso? Vielleicht ist das also gar kein individuelles Problem und alle Eltern können aufhören, sich zu ärgern, und Noise-Cancelling-Kopfhörer aufsetzen. Ist halt das Nervensystem. Kann man auch den Nachbarn sagen.

Unter uns lebt eine sehr gelassene Frau. Ein paar Wochen nach unserem Einzug habe ich sie im Treppenhaus kennengelernt. Sie war nett und bemerkenswert gut mit den Kindern. Als ich fragte, in welchem Stock sie wohnt, sagte sie: „Direkt unter Ihnen. Mit meinem Mann und zwei Katzen“, sprang mir aus tiefstem Herzen ein „Oh je, das tut mir so leid“ über die Lippen. Sie lachte. „Ach, gar nicht schlimm“, sagte sie. „Wir können auch laut sein.“

Seither überlege ich, was sie damit wohl gemeint hat. Spielt sie Schlagzeug? Er Tuba? Oder haben sie eine Megafonsammlung, die sie manchmal Freunden vorführen? Vielleicht schreien die Katzen? Ich lausche angestrengt. Aber ich höre – nichts.

Die Fünftage­vorschau

Mi., 18. 1.

Lin Hierse

Poetical

Correctness

Do., 19. 1.

Noemi Molitor

Subtext

Fr., 20. 1.

Volkan Ağar

Postprolet

Mo., 23. 1.

Ambros Waibel

Das bisschen

Haushalt

Di., 24. 1.

Isabella Caldart

Gossip Girl

kolumne @taz.de

Zumindest nicht von unten. Über uns wohnt eine Familie mit zwei kleinen Nervensystemen. Gerade ist Schlafenszeit. Geschrei, Gelächter. Stampf, stampf, stampf, stampf. Wie eine kleine Elefantenherde auf Fischgrätparkett. In Gedanken schicke ich gute Energie an die Nachbarn oben.