Roman über Berlin-Neukölln: Ganz harte Berliner Jungs

Heranwachsen im Dunstkreis der Drogengangs: Behzad Karim Khanis „Hund Wolf Schakal“ beweist poetisches Gespür. Und ein Ohr für Straßenjargon.

Straßenszene mit einem Sportwetten-Geschäft

Im Hintergrund lockt das schnelle Geld: Straßenszene in Berlin-Neukölln Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Die Kategorisierungen bei Amazon sind oft originell. Behzad Karim Khanis Debütroman „Hund Wolf Schakal“ wird vom Online-Kaufhaus als „Bestseller Nr. 1“ in der Kategorie „Orientalische Literatur“ geführt – direkt vor einer Mittelalterschmonzette und, auf Platz 3, dem Werk „Ukulele lernen leicht gemacht“. Dabei stammt die Ukulele aus Hawaii, und auch Khanis Roman spielt nicht im Orient, sondern in Berlin-Neukölln.

Gäbe es die Kategorie „Berlin-Literatur“ (vielleicht gibt’s die sogar), so würde Khani darin sicherlich einen vorderen Platz belegen. Allerdings beginnt sein Roman tatsächlich, so orientalisch wird es immerhin, in Teheran. Und Neukölln ist, das weiß man spätestens seit der Serie „4Blocks“, neben vielem anderen auch die Heimat mancher arabischer Kriminellen-Clans.

Wie sich das Männlichkeitsbild der in diesem Kontext Heranwachsenden an den zweifelhaften Vorbildern der Dealer und Schläger orientiert und formt, erzählt Khani in einer lebendigen, schön gestalteten Prosa, die im Duktus dezidiert lakonisch und in ihrer Bildhaftigkeit oft sehr poetisch ist.

Das Eingangskapitel ist ein gelungenes Beispiel dafür. Saam, die Hauptfigur des Romans, ist noch ein kleiner Junge und spielt auf dem Dach eines Hauses in Teheran mit seinem Zoo aus gefangenen Insekten, als sein Vater von der Polizei geholt wird.

Aufwachsen und Erwachsenwerden im Clanmilieu

Es sind die achtziger Jahre, und Vater Jamshid, der einst als Kommunist gegen den Schah gekämpft hat, ist auch dem neuen Regime ein Dorn im Auge. Seine Frau, Saams Mutter, ist von den Schergen der Mullahs bereits ermordet worden. Doch obwohl die Verhaftung des Vaters Schlimmes erwarten lässt, nimmt die Szene ein überraschend glimpfliches Ende. Jamshid kann mit seinen Söhnen das Land verlassen. Und der Rest des Romans spielt, wie gesagt, in Berlin.

Er handelt vom Aufwachsen und Erwachsenwerden Saams und seines jüngeren Bruders Nima. Davon, wie Saam sich mit dem libanesischstämmigen Heydar anfreundet, dessen große Brüder dick im Drogengeschäft und auf der Straße gefürchtet sind. Heydar imitiert schon als Kind den gewalttätigen Habitus der Älteren, und auch Saam lernt dazu.

Als einziger Perser unter Arabern muss er sich besonders beweisen; und so muckt er nicht auf, wenn Heydars Bruder Marwan ihn blutige Drecksarbeit für sich erledigen lässt. Dass er sich damit Feinde macht, die ihm eines Tages gefährlich werden könnten, ist nichts, worüber Saam sich als Teenager den Kopf zerbricht. Bis er Jahre später in den Knast kommt, dort auf ein früheres Opfer trifft und spüren muss, dass nichts vergessen ist …

Behzad Karim Khani bedient mit diesem Roman ein Thema, das nicht erst neuerdings Konjunktur hat. „4Blocks“ hat das Neuköllner Gang-Unwesen hierzulande längst als Sujet für die gehobene Unterhaltungskultur etabliert; unter dem Titel „Snabba cash“ läuft auf Netflix gerade eine themenähnliche Produktion aus Schweden; und ­Fatih Akin hat mit „Rheingold“ die Autobiografie des (ebenfalls persischstämmigen) Rappers Xatar verfilmt, die in Grundzügen quasi parallel läuft zum Schicksal des Protagonisten von Khanis Roman. Nichts Neues also in diesem Buch?

Erfrischende Dialoge, unblumiger Stil

Jein, denn zum einen sind Film und Literatur zwei Paar Schuhe, und für die Literatur ist das Thema noch nicht verbraucht. Erfrischend sind vor allem Khanis Dialoge, deren Tonfall und häufig absurde Lakonie man umgehend als authentischen – oder auch fein ironisierten – Neuköllner Straßenjargon akzeptiert. Auch ansonsten stimmt sprachlich fast alles hier, Khanis knapper, aber gar nicht unblumiger Stil nimmt einen umstandslos mit.

Gleichzeitig bewirkt das schwungvolle Easy-going-Gefühl der Lektüre aber auch, dass die eigentlich tragisch grundierte Story insgesamt etwas zu flott über diesen Abgrund hinwegflutscht. Saams Weg in die Neuköllner Halbwelt grenzt zu nah ans Klischee, als dass man nicht das Bedürfnis hätte, doch noch etwas mehr erklärt zu bekommen. Klar besteht jede Kunst unter anderem im Weglassen, aber vielleicht ist es ja noch wichtiger, richtig zu entscheiden, was unbedingt drinbleiben muss.

Behzad Karim Khani: „Hund Wolf ­Schakal“. Hanser Berlin, Berlin 2022, 288 Seiten, 24 Euro

Es kann gut sein, dass soziales Abrutschen oft auf diese Weise passiert, fast zufällig und gegen den Willen der ehrbaren Eltern. Ein falscher Freund, und schon ist das Leben auf links gedreht. Aber trotzdem ist auch nach der Lektüre unklar: War es denn das, was erzählt werden sollte? Und wer ist eigentlich Saam? Warum ist gerade er der Held dieses Romans?

Als Charakter bleibt er seltsam abstrakt und fern, anders als sein Bruder Nima, der eigentlich eine Nebenfigur ist und dessen Geschichte in einem kurzen, zwischengeschalteten Seitenerzählstrang umrissen wird. Warum aber ist der deutlich komplexer angelegte Nima nicht die Hauptfigur? Weil sein keineswegs gradliniger Lebensweg eben nicht brutal und tragisch verläuft?

Möglicherweise wollte der Autor einfach keinen allzu „bürgerlichen“ Hauptprotagonisten für seinen Roman, aus Sorge, das könnte nicht interessant genug sein. Aber in der Regel ist es ja gar keine schlechte Idee, über das zu schreiben, was man am besten kennt.

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