Fein in fein

Theatrale Kunst mit Anspruch: Der koreanische Lyriker Ko Un und Laurie Anderson eröffneten das Poesiefestival

Das sieht nicht nur poetisch aus, das ist auch poetisch gemeint: Grell erleuchtet, mitten in einem schwarz eingefassten Kubus windet und wiegt sich ein kleiner Körper zum Rhythmus seiner Worte. Als Schatten tanzt er auf den weißgrauen Wänden. Neben ihm ragen die Häuser in den Nachthimmel, hinten rauscht der Verkehr, vorne wird geraunt, gemurmelt und applaudiert.

Der Mann, der hier zur Eröffnung des Poesiefestivals spricht, ist der koreanische Lyriker Ko Un. Er gehört zu den zehn Dichtern, die auf dem Potsdamer Platz ihre Texte rezitieren. Alle lesen in ihrer eigenen Sprache. Wen die Übersetzung interessiert, findet sie in der Anthologie, die extra für diese Veranstaltung gedruckt wurde. Die knapp tausend Zuschauer machen aber das, was Thomas Wohlfahrt, der Leiter des Festivals, zum Ziel des Abends erklärt hat: Sie hören auf den Klang der Worte, auf die Musikalität der Sprache. Fast irritiert es, als Lutz Seiler mit deutschen Texten den Klang ein wenig beiseite schiebt und Worte liest, die man verstehen kann.

Ausgesprochen klassisch geht es an diesem Abend zu. Inszeniert wird die Gala des gehobenen Wortes für das gehobene Publikum. Hoheitsvoll geleitet Wohlfahrt die Dichter über die breiten eisernen Stufen in den Kubus. Claudia Baumhöver, die mit recht bemühten Statements durch das Programm führt, hat sich in ein Kleid gehüllt, das bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth nicht auffallen dürfte. Spätestens als eine Dame im Publikum hinter ihrem Taschentuch an einer Hustenattacke zu ersticken droht, weil sich jemand zwei Plätze weiter eine Zigarette ansteckt, weiß man: Dies hier ist kein schlichtes Event, hier wird Poesie mit fragiler Feinnervigkeit zelebriert und noch feinnerviger genossen.

Erst als die virtuose Laurie Anderson als Star des Abends die Bühne betritt, kommt Rockkonzertatmosphäre auf. Mit ihrem Auftritt stimmt sie das Publikum auf die Veranstaltungen der nächsten Tage ein. Denn auf dem Poesiefestival soll es unkonventionell und vielfältig weitergehen. Dieses Jahr steht der spanischsprachige Kulturraum im Mittelpunkt. Vom Spoken-Word-Act bis zur tänzerisch-musikalischen Umsetzungen von Poesie soll das ganze Spektrum zeitgenössischer Lyrik vorgestellt werden. Poesie nicht für das stille Kämmerlein, sondern als theatrale Kunst. Mit und ohne Taschentuch. WIEBKE POROMBKA

Poesiefestival, tgl. bis 26. 6 im HAU 1 und HAU 2, Stresemannstraße, Hallesches Ufer, Termine siehe taz-plan