Mit Papas Segen„im Flow“

Der Grieche Stefanos Tsitsipas schickt sich an, die Australian Open zu gewinnen, sein erstes Grand-Slam-Turnier.
Dieses ambitionierte Ziel kann ihm eigentlich nur ein Tennisprofi verbauen: Novak Djokovic aus Serbien

Die Leichtigkeit des Seins: Tsitsipas tänzelt von Erfolg zu Erfolg Foto: Reuters

Aus Melbourne Klaus Bellstedt

Stefanos Tsitsipas kann an schlechten Tagen ein übel gelaunter Zeitgenosse sein. Nach Niederlagen sollte man dem Griechen aus dem Weg gehen. Dann blafft die Nummer 4 der Weltrangliste alles an, was ihm in die Quere kommt. Vor allem seine Gegner müssen dran glauben. Einmal, am Rande der ATP-Finals in Turin im November, stichelte er gegen den Russen Andrey Rublev, weil der ihn kurz zuvor in einem wichtigen Match besiegt hatte. Tsitsipas ärgerte sich, ihn nicht geschlagen zu haben, obwohl dieser nur „wenige Werkzeuge“ besitze.

Bei den Australian Open, die in Melbourne über die Bühne gehen, ist Tsitsipas mit derlei Boshaftigkeiten noch nicht auffällig geworden. Vielleicht kommt er in diesem Jahr sogar ohne aus. Dazu müsste er das Grand-Slam-Turnier allerdings gewinnen. Die Chancen stehen gut. Tsitsipas, 24, in Athen geboren und mit Talent gesegnet, als habe ihm Zeus persönlich dieses wunderbare Ballgefühl verliehen, spielt bei den Australian Open das Turnier seines Lebens.

Alles ist so leicht für ihn, und falls er das Finale gewinne, werde er einen Teil des Preisgeldes für einen wohltätigen Zweck spenden, sagte er. Die neue Leichtigkeit wird befeuert von den Rängen: Mit 300.000 griechischstämmigen Einwohnern soll Melbourne außerhalb Athens und Thessalonikis weltweit die größte Ansammlung von Griechen haben. Bei jedem von Tsitsipas’ bisherigen fünf Auftritten war das zu spüren. Auf den Tribünen der Rod-Laver-Arena wurde wie bei den Heimspielen von Panathinaikos Athen gesungen.

Der Einzelgänger Tsitsipas ist auf der Tour nicht sehr beliebt. Nicht bei seinen Konkurrenten, auch nicht bei den restlichen Fans. Aber in Australien ist es für ihn ein Heimspiel. Mit diesem Rückenwind lässt es sich wunderbar Tennis spielen. Nur einmal wurde er im Laufe des Turniers wirklich gefordert. Das war im Achtelfinale gegen Jannik Sinner, als das Match wie auf einer wilden Achterbahnfahrt auf und ab ging. Tsitsipas gab einen komfortablen 2:0-Satzvorsprung aus der Hand, im fünften Satz berappelte er sich aber wieder und gewann schließlich eines der besten Matches dieses Turniers. Freitagnacht steht er im Halbfinale der Australian Open. Sein Gegner dort heißt Karen Khachanov.

Aber noch einmal zurück zum Match gegen den Italiener Sinner. Das Spiel dient wunderbar dazu, Tsitsipas’ sportliche Weiterentwicklung zu beschreiben. Rückblick: Im Finale von Roland Garros 2021 gewann der Grieche gegen Novak Djokovic wie gegen Sinner die ersten beiden Sätze. Am Ende stand er aber mit leeren Händen da, weil der Serbe eine historische Wiederauferstehung feierte – und Tsitsipas einbrach. Er bezeichnete danach dieses dramatisch verloren gegangene Endspiel in Paris als eines der prägendsten Matches überhaupt: „Meine Niederlage gegen Novak bei den French Open hat mir definitiv gezeigt, was ich noch lernen muss, um besser zu werden. Das Match war hilfreich für meine gesamte Karriere. Es hat mir auch gezeigt, beim nächsten Mal in einem großen Finale nicht zu hartnäckig und verkrampft zu sein.“

Freitagnacht steht er im Halbfinale. Sein Gegner dort: Karen Khachanov

Gegen Sinner in Melbourne sah man im fünften Satz diese neue Lockerheit. Tsitsipas traf plötzlich wieder die Linien, wirkte auch mental voll auf der Höhe und fand Stück für Stück seinen Rhythmus wieder. Am Ende war er, wie Tennisspieler gerne sagen, „im Flow“. Nun könnte es auch bei den Australian Open wieder auf ein Endspiel zwischen Tsitsipas und Djokovic hinauslaufen. Der 21-fache Grand-Slam-Champion ist wie der Grieche in einer bestechenden Form und ließ im Laufe des Turniers seine Gegner nacheinander wie ein Riese eine Handvoll lästiger Zwerge an sich abprallen.

Djokovic erfreut sich auf der Anlage im Melbourne Park ebenfalls großer Beliebtheit. Er hat das Turnier schon neun Mal gewinnen können. Tsitsipas steht bei null Major-Titeln. Steht der große Coup nun bevor? Noch eine Sache spricht dafür. Das von Tsitsipas einmal selbst als bisweilen „kompliziert“ beschriebene Verhältnis zu seinem Vater und Trainer ist im Moment störungsfrei. Apostolos Tsitsipas sitzt bei jedem Spiel dicht am Court.