Klare Botschaft vom Sarg aus an den US-Kongress

Bei der Trauerfeier für den von der Polizei totgeprügelten Schwarzen Tyre Nichols fordern etliche Red­ne­r*in­nen eine Polizeireform in den USA. Den Entwurf dafür gibt es längst

Trauer und flehentliche Bitten: Reverend Al Sharpton mit der Familie des getöteten Tyre Nichols Foto: Andrew Nelles/reuters

Von Bernd Pickert

Hunderte waren am Mittwoch zur Trauerfeier für den von der Polizei totgeschlagenen Tyre Nichols in die Mississippi Boulevard Christian Church nach Memphis gekommen. An dieser Feier war alles politisch, auch die Liste der Teilnehmenden.

Denn neben Freunden und Verwandten des 29-Jährigen kamen auch Al Sharpton, der in der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung ergraute einstige Mitstreiter von Martin Luther King Jr., der die Andacht leitete, Kamala Harris, die erste Schwarze US-Vizepräsidentin – und zahlreiche weitere Angehörige von Opfern der Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA. Philones Floyd war da, der Bruder des von einem Beamten in Minneapolis ermordeten George Floyd. Tamika Palmer, die Mutter der in Louisville von der Polizei erschossenen Breonna Taylor. Die Mutter von Eric Garner, den die Polizei in New York zu Tode gewürgt hatte. Tiffany Rachal, dessen Sohn Jalen von einem Polizisten in Houston umgebracht worden war, sang den Gospel „Lord I Will Lift My Eyes to the Hills.“

Es war eine würdige Trauerfeier, aber auch eine wütende. Al Sharpton erinnerte daran, dass in Memphis auch Martin Luther King Jr. 1968 erschossen worden war. Ohne dessen Kampf hätten die fünf angeklagten Schwarzen nie die Chance gehabt, einen Job bei der Polizei zu bekommen. „Ihr habt einen Bruder totgeschlagen“, klagte er.

Kamala Harris sprach zu Nichols’ Verwandten: „Das ist eine Familie, die ihren Sohn und ihren Bruder durch einen Gewaltakt verloren hat, den Leute begangenen haben, deren Aufgabe es war, für seine Sicherheit zu sorgen“, sagte sie.

Vor allem aber war die Veranstaltung ein flehentlicher eindringlicher Aufruf zur Veränderung – und das ganz konkret. Vizepräsidentin Harris selbst rief den Kongress auf, endlich das Gesetz über die Polizeireform zu verabschieden. Denn der Gesetzentwurf, im Original heißt er George Floyd Justice in Policing Act, hatte zwar 2021 das damals noch von den De­mo­kra­t*in­nen kontrollierte Repräsentantenhaus passiert, war dann aber im 50:50 besetzten Senat steckengeblieben.

2020 war der Entwurf im Angesicht der landesweiten Proteste nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd von De­mo­kra­t*in­nen im Repräsentantenhaus erarbeitet worden, allen voran von der damaligen Vorsitzenden der Schwarzen Parlamentariervereinigung Karen Bass, heute Bürgermeisterin von Los Angeles. Im Senat hatte Kamala Harris selbst am Entwurf mitgearbeitet.

Der recht ausführliche Gesetzesentwurf sieht sowohl eine bessere Ausbildung der Po­li­zis­t*in­nen vor, inklusive einer Sensibilisierung für Racial Profiling, das Verbot bestimmter Techniken der Gewaltanwendung wie etwa bestimmter Würgegriffe wie jener, mit dem Eric Gardner getötet wurde, als auch vielerlei Möglichkeiten, polizeiliches Fehlverhalten effizienter zu ahnden. So sollen etwa die Polizisten grundsätzlich immer mit Bodycams, die Polizeiwägen mit Dashcams ausgestattet werden, sodass das gesamte Geschehen an einem Einsatzort aufgezeichnet wird. Die halbmilitärische Aufrüstung von Police Departments, die in den letzten Jahren stetig zugenommen hat, soll gestoppt werden, und es soll eine bundesweite Personalakte mit Vermerk über jegliches Fehlverhalten von Po­li­zis­t*in­nen im Einsatz geführt werden.

Die Re­pu­bli­ka­ne­r*in­nen in beiden Kongresskammern lehnten das Gesetz einstimmig ab, überparteiliche Verhandlungen wurden im September 2021 endgültig als gescheitert erklärt.

„Dann klebt das Blut des nächsten Kindes, das stirbt, an ihren Händen“

Mutter des verstorbenen Tyre Nichols

Zwar hat Präsident Joe Biden im vergangenen Jahr per Erlass einige der im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Änderungen angeordnet – das aber ist lediglich für die Bundespolizei verbindlich und kann zudem vom nächsten Präsidenten genauso per Federstrich wieder zurückgenommen werden. Er sei bereit, ein entsprechendes Gesetz sofort zu unterschreiben, wenn der Kongress es verabschiede, ließ Biden seine Vizepräsidentin bei der Trauerfeier mitteilen.

Auch Nichols’ Mutter appellierte ihrerseits unter Tränen an den Kongress, endlich zu handeln. Ansonsten wären die Abgeordneten für den nächsten derartigen Todesfall verantwortlich, sagte RowVaughn Wells. „Dann klebt das Blut des nächsten Kindes, das stirbt, an Ihren Händen.“ Nichols ältere Schwester Keyana Dixon sagte: „Alles, was ich will, ist es, meinen kleinen Bruder zurückzuhaben.“

Präsident Joe Biden wollte sich am Donnerstag mit Mitgliedern der Schwarzen Parlamentariervereinigung treffen, um über weitere Möglichkeiten der Polizeireform zu sprechen.