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Frühe Prävention und neue Heilungsmethoden

Die Forschungen zur Kinderonkologie brachten in jüngster Zeit neue Erkenntnisse – und damit Kindern wie Eltern neue Perspektiven

Im Krebs-Prüfzentrum Foto: Uwe Anspach/dpa/picture-alliance

Von Julia Johannsen

Nach dem Blick ins Mikroskop erkennt man die Art des Tumors und stellt die Diagnose. So war es bis vor Kurzem. Doch jetzt haben Pathologinnen und Pathologen ein weiteres Werkzeug zur Hand, die molekulare Diagnostik.

Die Erforschung von Hirntumoren ist in der Kinderonkologie von großer Bedeutung, da ein Drittel aller erkrankten Kinder davon betroffen sind. Es gibt rund 150 verschiedene Arten, die speziell bei Kindern extrem vielfältig sind. Bis vor Kurzem wusste man noch nicht, dass es überhaupt so viele unterschiedliche Hirntumoren gibt. Und um eine Diagnose zu stellen, war man ausschließlich auf das Mikroskop angewiesen. Im letzten Jahr hat sich die molekulare Diagnostik ein Stück weit über die reine Mikroskopie gestellt. „Durch molekulare Analysen können wir die Unterschiedlichkeit der Tumorarten jetzt viel besser erkennen“, sagt Stefan Pfister, Kinderonkologe und Direktor am Hopp-Kinderzentrum Heidelberg. „Das ist eine revolutionäre Veränderung, die auch in die Klassifikation für Hirntumoren bei der WHO eingeflossen ist. Ein riesengroßer Meilenstein.“

Rund 2.000 Kinder erkranken in Deutschland jährlich an Krebs. Das scheint eine kleine Zahl verglichen mit einer halben Million Erwachsener. Doch jedes Kind ist ein Einzelschicksal, ein Familienschicksal. Zwar haben sich die Heilungschancen in den letzten Jahrzehnten dramatisch verbessert, rund 80 Prozent der erkrankten Kinder können heute vom Krebs geheilt werden. Doch man muss verstehen, dass Heilung bei Krebs manchmal auch nur bedeutet, dass der Tumor beseitigt oder unter Kontrolle gebracht ist. Das heißt nicht unbedingt, dass der Körper gesund und frei von Langzeitschäden ist.

„Wir kriegen die Heilungsraten nicht umsonst“, sagt Matthias Fischer, Leiter der Abteilung für Experimentelle Pädiatrische Onkologie an der Uniklinik Köln. „Wir erkaufen sie mit der Gesundheit der Kinder.“ Gerade bei Kindern sind die Folgen der Therapie schwer vorauszusehen und zeigen sich oft erst im Erwachsenenalter, zum Beispiel in Form von Infertilität. Anders als Erwachsene, die meist erst in der zweiten Lebenshälfte an Krebs erkranken, haben Kinder nach ihrer Heilung noch 70 oder 80 Lebensjahre vor sich. Hier öffnet sich für die Kinderonkologen ein weiteres Forschungsgebiet.

Schon seit den siebziger Jahren sind Kinderonkologen in ganz Deutschland gut miteinander vernetzt. Das hängt auch damit zusammen, dass sie sich zusammenschließen mussten, um ausreichende empirische Daten zu generieren. Die Krebsarten von Kindern unterscheiden sich zudem grundlegend von denen Erwachsener. Während Erwachsene am häufigsten ein Karzinom bekommen, erkranken Kinder eher an soliden Tumoren, wie zum Beispiel Bindegewebs- oder eben typischen Hirntumoren, die bei Erwachsenen extrem selten sind. Kinder reagieren auch anders auf die Behandlung. Die Chemotherapie vertragen sie in der Regel besser als Erwachsene, speziell auch komplexere Formen der Chemotherapie, dagegen die Strahlentherapie schlechter. Vermutlich liegt das daran, dass sie noch eine bessere Regenerationsfähigkeit haben.

Die Medikamente, die den Kinderonkologen zur Verfügung stehen, werden in der Regel für Krebsarten bei Erwachsenen entwickelt und auch bei Erwachsenen getestet. Die Pharmaindustrie hat aufgrund geringer Fallzahlen wenig Interesse, in die Entwicklung neuer Medikamente spezifisch für Kinder zu investieren. „Die Leute sind dankbar, dass es immer bessere Medikamente für Krebs gibt“, sagt Pfister. „Aber es gibt nur eine Hand voll Medikamente, die speziell für Kinder entwickelt wurden.“ Das soll sich zukünftig durch intensivere Forschung ändern, zudem ist ein neues Gesetz auf dem Weg, das in den USA schon in Kraft getreten ist. In Zukunft müssen alle Medikamente, die auch eine Relevanz in der Kinderheilkunde haben, aber eigentlich für eine Erwachsenen-Tumorart entwickelt wurden, auch bei Kindern getestet werden. Erst dann bekommt die Firma eine Marktzulassung. Ein weiterer Meilenstein in der Kinderonkologie.

Im Projekt „Eigenständig werden“ erlernen Kinder allgemeine Gesundheitskompetenzen in Bezug auf Ernährung, Bewegung, Entspannung und mentale Gesundheit sowie den Umgang mit Gruppendrucksituationen beim Thema Rauchen. Das Unterrichtsprogramm zur Gesundheitsförderung und Persönlichkeitsentwicklung ist für die Klassenstufen 1 bis 4 sowie 5 und 6 ausgelegt. Es soll ihnen helfen, einen gesunden Lebensstil zu entwickeln – körperlich, seelisch und sozial. Eltern, die möchten, dass „Eigenständig werden“ auch an der Schule ihres Kindes umgesetzt wird, können sich an den Elternbeirat, Lehrkräfte oder die Schulleitung wenden.

www.eigenstaendig-werden.de

Fischer erforscht das Neuroblastom, das zu den soliden Tumoren und damit zu den häufigsten Krebserkrankungen bei Kindern zählt. In rund 50 Prozent der Fälle verschwindet der Tumor von allein wieder, in allen anderen Fällen hat er einen hochaggressiven Verlauf mit hohem Sterberisiko. Warum das so ist, dieser Frage widmet sich der Onkologe seit über 20 Jahren und hat jetzt eine Antwort gefunden: Die hochaggressiven Krebszellen verfügen über sogenannte Telomerhaltungsmechanismen, das bedeutet, dass sie sich endlos teilen können und immer weiterwachsen. Die Krebszellen, die wieder verschwinden, haben diese Mechanismen nicht und hören irgendwann auf, sich zu teilen. Diese Erkenntnis beeinflusst die Diagnose und den Therapieverlauf grundlegend. „Wenn man bei Diagnose weiß, um welche Art von Neuroblastom es sich handelt, kann man die Therapie hervorragend steuern“, sagt Fischer. „Wir bräuchten jetzt noch ein richtig gutes Medikament, dass die Telomerhaltung hemmt. Denn dieses Prinzip gilt für alles Krebsarten. Es wäre ein fantastisches Medikament.“

Zwischen allen neuen Erkenntnissen und Meilensteinen der Forschung bleibt der Blick der Eltern. Er fällt in die Augen des Arztes und fragt – haben wir etwas falsch gemacht? Nach bestem Wissen und Gewissen gibt Fischer die Antwort: „Man kann präventiv wenig tun, es ist zumeist Zufall oder auch Schicksal.“