Protestgeschichte archiviert

Goethe-Institut im Exil: Im Berliner Acud steht bis Ende Februar die Kunst und Kultur Irans im Fokus

Die Proteste in Iran gegen das Mullah-Regime, angestoßen durch den Tod von Jina Mahsa Amini im September, reißen nicht ab. Derweil wird die Liste der inhaftierten Demonstrierenden immer länger und somit auch die Zahl der Hingerichteten größer. In der nun eröffneten Ausstellung „Tracing Movement(s) in Uncertain Times“ im Berliner Kunsthaus Acud fällt so gleich ein Plakat ins Auge, das die Namen derer verzeichnet, die bis Ende Dezember dem Kampf für Freiheit zum Opfer gefallen sind. Die meisten sind noch keine 30 Jahre alt, 69 der 443 ermordeten Ira­ne­r:in­nen waren Kinder.

Die aktuellen Unruhen, immerhin die am längsten andauernden seit 1979, sind jedoch kaum Teil der Berliner Ausstellung. Eher bildet sie jüngere Protestbewegungen in Iran ab und wie diese im Ausland Ausdruck fanden. So erfährt man etwa von einer umfangreichen Ausstellung in Paris und Rom, „Unedited History. Iran 1960 – 2014“. Hier wurden der Öffentlichkeit kaum bekannte Fotos von Bahman Jalali und Rana Javadi gezeigt, die die Revolutionswirren abbildeten. Auch bis dato unveröffentlichte Videos waren Teil der Ausstellung.

Dass die Bilderflut Eindruck auf die Pariserinnen und Römer machte, muss man wohl einfach glauben. Erkennen lässt sich auf den Fotos, klein und unscharf abgedruckt und in Klarsichtfolien in graue Aktenordner geheftet, die in der Acud-Galerie ausliegen, kaum etwas. Gezeigt wird wenig in der Ausstellung, Informationen kann man sich anlesen, so man in den Ordnern und Büchern blättert. Über einen Fernseher läuft Videokunst. Ein QR-Code führt zur Musik Farhad Mehrads, der in Iran das wohl erste englischsprachige Rock-’n’-Roll-Album veröffentlichte.

„Tracing Movement(s) in Uncertain Times“ atmet eher den Charme eines Projektraums denn einer durchkuratierten Ausstellung. Perspektiven der Be­su­che­r:in­nen sollen hier zusammenlaufen und so ein Archiv der jüngeren Protestgeschichte Irans schaffen. Realisiert wurde die Ausstellung vom Goethe-Institut, das bis 2024 mit „Goethe-Institut im Exil“ Kulturschaffenden, die in ihren Heimatländern aufgrund von Krieg oder Verfolgung nicht arbeiten können, im Acud Raum bietet. Der Schwerpunkt liegt eigentlich auf der Ukrai­ne, bis Ende Februar stehen jedoch Kunst und Kultur Irans im Mittelpunkt. Lesungen, Diskussionsabende und Performances sind geplant.

Der Samstagabend stand im Zeichen der Literatur. Texte, vorgetragen auf Farsi und Deutsch, zeugen von der Sehnsucht nach Freiheit. Während Zeilen aus dem 11. Jahrhundert noch für verhaltenes Lachen unter den Zu­hö­re­r:in­nen sorgt („Wisse, dass der Schöpfer die Frau zum Wohl und Unwohl des Mannes geschaffen hat“), bringt eine Geschichte über Frauen, die einer Leiche das Kleid ausziehen, um es einer erfolglosen Prostituierten zu vermachen, den Widersinn von jahrhundertelanger Unterdrückung zum Ausdruck. Lediglich die Sittenpolizei, deren Name irgendwann fällt, verortet die Erzählung im heutigen Iran.

Untermalt wird die Lesung von an die Wand projizierten Videos. Ein Gesicht in einem Karton wird Stück für Stück mit in Zeitungspapier eingewickelten Päckchen bedeckt, ein anderer Film zeigt Stühle, die in unmöglichen Positionen gegen einen Metalltisch stoßen. Wer die Dichterinnen und Videokünstler sind, deren Werke präsentiert werden, bleibt weitgehend im Dunkeln, auch der Zeitpunkt ihrer Entstehung wird selten erwähnt. Frau, Leben, Freiheit – alle Texte finden letztlich in dem Protestslogan zusammen. „Ich bin vom Stamm der Bäume“, liest die Künstlerin Yeganeh Khoie vor, „und habe es satt, abgestandene Luft zu atmen.“ Julia Hubernagel