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Konzepte für die Zukunft in Zeiten der Krise

Die Doppelmesse BioFach & Vivaness 2023 kehrt wieder zum Normalbetrieb zurück. Alles andere als normal sind die Rahmenbedingungen des Marktes: In Nürnberg werden Corona und Klima, Krieg und Knappheit diskutiert. Dabei Zeichen sich auch neue Perspektiven ab

Schwein gehabt? Auch die Biobranche kämpft derzeit mit schwierigen Rahmenbedingungen, punktet aber mit Qualität. Innovative Ställe, viel Auslauf und Biofutter etwa können einen entscheidenden Unterschied machen Foto: Frank Peter/imago

Von Ansgar Warner

Nach der digital-analog-hybriden Summer-Edition im vorigen Jahr zeigt man sich der Welt wieder zur gewohnten Jahreszeit zum Anfassen und Reinbeißen, zum Eincremen oder Einseifen: Vom 14. bis 17. Februar öffnet mit der BioFach in Nürnberg die Weltleitmesse für Bio-Lebensmittel ihre Pforten. Erwartet werden diesmal 2.700 Aussteller aus rund 100 Ländern. Bei der im Verbund stattfindenden Vivaness präsentiert sich parallel die Naturkosmetik-Branche mit mehr als 170 Ausstellern.

So können Fachbesucher etwa auf der Biofach süße Snacks aus Hülsenfrüchten begutachten oder die allerneuesten Milchersatzprodukte, bekommen neue biologisch abbaubare Verpackungen zu sehen. Vor allem wird sich die Branche über aktuelle Trends und Debatten rund um Themen wie Tierwohl, Biodiversität oder nachhaltigem Umgang mit natürlichen Ressourcen informieren und austauschen.

Auf der Vivaness wiederum wird thematisiert, wie sich Green Beauty glaubhaft von Greenwashing-Kampagnen des kosmetisch-industriellen Komplexes abgrenzen kann, wie die alternative Kosmetikbranche vom Trend zur Online-Vermarktung profitiert oder wie man den Auswirkungen der hohen Inflation entgeht. Weitere Buzzwords der nachhaltig orientierten Beauty-Macher reichen von „Solid Cosmetics“ und „Zero Waste“ bis zu „Vegan“ und „Pure“.

Doch die gar nicht so hippen K-Worte sind auch in Nürnberg nicht weit. Wie stark die multiplen Krisen von Corona und Klima bis Krieg und Knappheit die Biolebensmittelbranche prägen, zeigt der Schwerpunkt des Biofach-Kongresses mit dem Titel „Bio. Ernährungssouveränität. Wahre Preise“ – welchen Beitrag leistet Bio für die Sicherung unserer Ernährung, wie lässt sich mit realistischer Preisgestaltung die notwendige ökologische Umgestaltung des Lebensmittelsektors gestalten?

Die gute Nachricht: Verbraucherinnen und Verbraucher sind Bio-Lebensmitteln weiterhin sehr positiv gegenüber eingestellt. Die nicht ganz so gute: Die Bereitschaft, für Lupinenmilch in Ökoqualität oder das Schnitzel vom Biofleischer tiefer in die Tasche zu greifen, hat sich in Zeiten hoher Inflation von zuvor 67 Prozent der Befragten auf nun 30 Prozent nahezu halbiert.

Der Preisanstieg speziell bei Bio ist dabei eher gefühlt als real, weiß man beim Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW): „Wir haben in einer Studie untersucht, wie sich die Preise in den Bioläden, Supermärkten und Discountern im Vergleich der Zeiträume September bis November 2021 zu September bis November 2022 entwickelt haben“, so BÖLW-Vorstandsfrau Tina Andres, zugleich Schirmdame der Kampagne „Was ist es dir wert?“. „Während die Preise für konventionelle Lebensmittel in nie dagewesenem Maße explodieren, sind Bioprodukte geradezu preisstabil.“

Lebensmittel in Bioqualität würden deswegen als Inflationsbremse wirken, betont auch Stefan Gothe, Geschäftsführer der Regionalwert Impuls GmbH. Die „Was ist es dir wert“-Kampagne sei aber trotzdem notwendig, so zugleich Oliver Scheiner von Schrot & Korn, und werde deswegen von seinem Unternehmen unterstützt: „Gerade in den Bioläden beobachten wir Umsatzrückgänge, obwohl die Produkte dort nur moderat im Preis gestiegen sind.“ Man wolle den Verbraucherinnen und Verbrauchern deswegen anschaulich erklären, warum die Preise für Biolebensmittel „stabiler und unterm Strich ehrlicher“ sind.

Überhaupt muss sich die Branche wohl stärker um das Image kümmern, das die Kundschaft mit ökologisch nachhaltigen Produkten verbindet – und sich auch über die Motivation zum Einkauf Gedanken machen. Denn die Menschen werden wählerischer, und zugleich haben sie mehr Informationen zur Verfügung, vor allem über digitale Kanäle. Doch auch wenn sich alles komplexer und vielfältiger gestaltet: „Zukünftig werden Verbraucher wieder mehr Einfluss darauf haben, was ihnen beispielsweise im Newsfeed vorgeschlagen wird“, erwartet Futurologe Max Thinius. Deswegen sei es wichtig, die digitalen Möglichkeiten zur Kunden- und Markenbindung zu kennen und einzusetzen. „Digitalität bedeutet nicht, dass zukünftig der Kühlschrank feststellt, was eingekauft werden soll.“ Die Entscheidung treffe auch weiterhin der Verbraucher selbst. „Doch die Entscheidungsfindung kann mittels Daten unterstützt werden.“

Wie das konkret aussehen könnte, zeigt zum Beispiel die „RegioApp“, die den Nutzer bei der Suche nach regionalen Produkten unterstützt. Wer Bioprodukte liebt, kann dort über den neuen Filter „Regionalwert AG“ direkt Produkte von Partnerbetrieben der Regionalwert AGs finden, die sich mit der Erzeugung und dem Vertrieb von ökologisch angebauten Lebensmitteln beschäftigen.

„Digitalität bedeutet nicht, dass zukünftig der Kühlschrank feststellt, was eingekauft werden soll“

Max Thinius, Futurologe

Ein genauerer Blick darauf, wofür sich die Konsumenten von Bioprodukten interessieren, könnte zudem helfen, das veränderte Einkaufsverhalten in Zeiten der Krise besser zu verstehen. Das fordert etwa Jörg Reuter vom Food Campus Berlin: „Die Branche hat nie analysiert, warum der Markt sich so verhält, und Schlüsse daraus gezogen.“ Umso bitterer sei das Erwachen im dritten Jahr mehrfacher Krisen gewesen.

Eine zusätzliche Hilfe für die Biobranche bieten einheitlichere Produktsiegel, wie es etwa das neue Tierhaltungskennzeichnungsgesetz vorsieht. „Damit gibt es bald endlich eine echte und verlässliche Wahl für mehr Tierwohl – an der Fleischtheke, am Kühlregal oder im Online-Handel“, hatte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir nach der Verabschiedung des Gesetzes durch den Bundestag im letzten Herbst verkündet. Und hinzugefügt, das neue Label mache auch die Leistung von Landwirtinnen und Landwirten für eine artgerechtere Tierhaltung sichtbar.

Damit wird Bio nun auch offiziell erste Wahl, freut sich darüber Peter Röhrig vom Vorstand des Biolebensmittel-Spitzenverbands BÖLW: „Dass bei der Kennzeichnung Bio eigenständig erkennbar sein soll, ist richtig. Denn Bio ist der höchste europäisch geregelte Standard und wird von 10.000en Bäuerinnen und Bauern mit innovativen Ställen, viel Auslauf und Biofutter praktiziert.“