Verdrängungswettbewerb

Der ehemalige Biathlon-Olympiasieger und jetzige SPD-Sportpolitiker Frank Ullrich inszeniert sich bei der Weltmeisterschaft in Oberhof – und vergisst dabei etwas

„Tabletten, blau, gelb oder rosafarbene“: Biathletin zieht in Oberhof ihre Bahnen, beäugt von der Sportelite Foto: ap

Aus Oberhof Thomas Purschke

Es ist so wie immer in Oberhof. Mit der dunklen Seite des Biathlonsports hat sich das Wintersportzentrum kaum auseinandergesetzt. Ein Sportmuseum gibt es nicht, weil ein Unternehmer nach der Übernahme der Immobilie „Oberer Hof“ andere Schwerpunkte setzte. Bei der Biathlon-WM 2004 hing damals im Wintersportmuseum eine kleine Infotafel, wo auf die Dopingvergangenheit im einstigen DDR-Armeesportklub Oberhof hingewiesen wurde. Auch die massive Überwachung der Wintersportler durch die Stasi wurde erwähnt.

Der Thüringer Landessportbund hatte immerhin am zweiten Wettkampftag der jetzigen Biathlon-WM ein Kunstprojekt von Dopingopfern in Oberhof vorgestellt, wo einstige Leichtathletinnen ihre Malereien in einer Ausstellung zeigten. Von der Dopinghistorie in der DDR-Wintersportzentrale war indes nichts zu sehen. Stattdessen zeigte am vergangenen Wochenende der erste deutsche Biathlon-Olympiasieger, Frank Ullrich vom einstigen Armeesportklub Oberhof, vielen Ehrengästen sein früheres Wohnzimmer, die Biathlon-Arena am Grenzadler.

Unter den Promis waren Bundespräsident Steinmeier und Bundesinnenministerin Faeser, aber auch Mitglieder des Sportausschusses, dessen Chef Ullrich seit Dezember 2021 ist. Dies ist pikant, weil der SPD-Politiker wegen seiner Verstrickung ins DDR-Staatsdopingsystem sowohl als Athlet und als DDR-Nationaltrainer bis heute so gut wie nichts zur Aufklärung beigetragen hat. Bereits 1991 waren Dopingvorwürfe gegen ihn öffentlich geworden. Der frühere DDR-Biathlet Jens Steinigen hatte die in der DDR verantwortlichen Trainer Kurt Hinze, Wilfried Bock und eben Ullrich belastet, weil sie ihn einst zur Dopingeinnahme überreden wollten. Daraufhin wurde Steinigen von Hinze verklagt. Hinze verlor den Prozess vorm Landgericht Mainz und musste von seinem Amt als Biathlon-Bundestrainer zurücktreten.

Im Jahr 2009 hatte der ehemalige DDR-Biathlet Jürgen Wirth den Trainern Bock und Ullrich eine Dopingverstrickung vorgeworfen. Konkret: dass auch Ullrich die Einnahme des Dopingmittels Oral-Turinabol angeordnet und die Einnahme überwacht habe. Auch die beiden DDR-Biathleten und einstigen Teamkameraden von Ullrich, Andreas Heß und Jürgen Grundler, hatten dem WDR 2009 erklärt, dass Ullrich bei einer polizeilichen Vernehmung 1994 die Unwahrheit gesagt habe mit seiner Behauptung: „Tabletten, blau, gelb oder rosafarbene, habe ich nicht auf den Trainingslagern bekommen“.

Unbewusst gesteuert

Ullrich hat die Vorwürfe gegen ihn stets abgestritten. Eine vom Deutschen Skiverband eingesetzte Untersuchungskommissin bescheinigte ihm gar einen „unbewusst gesteuerten Verdrängungsmechanismus“ in Dopingfragen. All diese Dinge hatten im Vorjahr im Sportausschuss für Verstimmung gesorgt. Es gab Gespräche mit Ullrich, auch mit der SED-Opfer-Beauftragten Evelyn Zupke. Im Mai 2022 folgte eine Zusage Ullrichs, ein Gutachten zu seiner Dopingverstrickung in Auftrag zu geben, teilte der stellvertretende Sportausschussvorsitzende, Philip Krämer (Grüne) mit. Daher sei er davon ausgegangen, dass es in Auftrag gegeben sei. Krämer zeigte sich nun jedoch verwundert, dass dies noch nicht erfolgt ist. Er wolle sich für eine unverzügliche Umsetzung der Zusage einsetzen: „Im Sinne des glaubhaften Anti-Doping-Kampfes der Sportpolitik im Bundestag wäre es zu begrüßen, wenn das Gutachten schnellstmöglich in Auftrag gegeben und dann vorliegen würde, und ich erwarte, dass Frank Ullrich die Suche nach einem geeigneten Gutachter noch einmal intensiviert“, sagte Krämer der taz. Sport­ausschuss-Mitglied Fritz Güntzler (CDU) ergänzte: „Wenn Frank Ullrich diesen Beitrag leisten kann, muss er dem auch nachkommen.“

Die SED-Opfer-Beauftragte Zupke findet derweil: „Die bisher nicht geklärte Rolle von Herrn Ullrich im Dopingsystem im DDR-Leistungssport stellt aus meiner Sicht insbesondere für die Dopingopfer eine Belastung dar.“