Heiligen-Geist-Hospital in Lübeck: Sozialhilfe schon seit 1286

Lübeck hat eine der ältesten Sozialeinrichtungen der Welt. Das denkmalgeschützte Haus ist immer noch Altenheim. Es gibt Streit, ob es bleiben kann.

Eine Illustration zeigt die Gebäudeteile des Heiligen-Geist-Hospitals in Lübeck - die einzelnen Gebäudeteile haben sich mit ihren "Armen" untergehakt - ein Zeichen der Solidarität

Manchmal hilft Solidarität eben doch Illustration: Jeong Hwa Min

LÜBECK taz | Im Unesco-Welterbe Lübeck als Gebäude aufzufallen ist gar nicht so leicht. Doch wenn es ein Gebäude schafft, dann das Heiligen-Geist-Hospital mit seinen schlanken Türmen und dem glasierten Backstein, mit seinen blumenverzierten Kreuzgewölben und Wandmalereien.

Das Altenstift im Zentrum der Stadt ist kein Haus, sondern ein riesiger Häuserblock aus drei Flügeln und einer Kirche. Einen Trakt, das sogenannte Langhaus, kann man besichtigen. Der Eintritt ist frei, aber neben dem großen Gewölbe mit Wandmalereien gibt es nur noch einen Raum, in dem eine Metalltür den weiteren Durchgang versperrt.

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Doch dahinter zu schauen lohnt sich: In einer gigantischen Halle verlaufen zwei Gassen. Unter einem dunkelbraunen Holzdach wurden hier 1820 etwa 100 vier Quadratmeter kleine niedrige Buden, sogenannte Hospitalienkammern, eingebaut. An den Türen der Kammern kann man noch heute Namen und Nummern der damaligen Bewohner sehen. In die cremeweiß gestrichenen Zimmerchen passt gerade so ein Bett, ein Nachttisch und neben einem Holzverschlag eine schmale Kommode. Von oben und durch ein Türfenster fällt Licht herein. Hier lebte bis 1970 ein Großteil der 170 Bewohnerinnen und Bewohner des Altenstifts.

Bevor die Kammern gebaut wurden, lagen die meisten Bewohnerinnen und Bewohner in dieser Halle Bett an Bett, nur Vorhänge gaben so etwas wie Privatsphäre. Sie müssen sich unter dem dunkelbraunen Holzdach sehr klein gefühlt haben. Aber für ihre Zeit war das Hospital fortschrittlich, und es nahm Bedürftige auch ohne Geld auf.

Achtmal im Jahr warme Bäder

Dass es bis heute so prunkvoll daherkommt, liegt daran, dass es nicht nur Arme aufnahm. Das Hospital und spätere Altenstift war die meiste Zeit reich. Der Orden kaufte Ländereien und ganze Dörfer und hatte durch Erbpachten gute Einnahmen. Außerdem mussten alle Bewohner, die im Krankenhaustrakt oder im Altenstift starben, ihr gesamtes Vermögen der Stiftung überlassen.

Dafür gab es Essen aus der eigenen Landwirtschaft, Bier aus einer eigenen Brauerei und nach einer Quelle aus dem frühen 17. Jahrhundert „achtmal im Jahr verabfolgte warme Bäder“ – viel in einem Jahrhundert, in dem der Großteil der Bevölkerung einmal im Jahr badete.

Doch es gab nicht nur Luxus, sondern auch ein strenges Regime. In der Hospitalordnung von 1263 festgeschrieben waren Fastentage und Kleiderordnung, Beichte und Betzeiten, Keuschheit und Gehorsam gegenüber den Meistern oder Meisterinnen, die für den Trakt zuständig waren. Wer sich nicht daran hielt, musste mit Hunger- oder Prügelstrafen rechnen oder wurde – ohne sein Vermögen – vor die Tür gesetzt.

Strafen oder Geschlechtertrennung gibt es heute nicht mehr, und die Pflegesätze sind für alle gleich. Für die Hälfte der Bewohner in den städtischen Einrichtungen Lübecks werden diese Leistungen aus Sozialhilfe bezahlt.

Proteste und Unterschriftensammlungen

Der Leiter der Lübecker Senioreneinrichtungen, Gert Wadehn, führt durch die Backsteinflure und den historischen Keller des Altenstifts. „Das Gebäude hat etwas, das tut den Leuten gut“, sagt er, „so etwas findet man nicht wieder.“ Im Essensraum spricht ihn eine Frau mit sorgfältig geflochtenem grauem Haar an: „Nehmen Sie uns bitte nicht unsere Heimat weg!“

Wadehn steht zurzeit im Kreuzfeuer. Vor wenigen Wochen gab es die Nachricht, dass die Einrichtung geschlossen werden soll, und er muss das gegenüber Bewohnern und Öffentlichkeit erklären. Dabei hat er Verständnis für die Gegenseite: „Es ist schwer, seine Wohnung aufzugeben.“ Es gab Proteste und Unterschriftensammlungen, Heimbewohner demonstrierten in ihren Rollstühlen auf der Straße.

Eine, die dabei aktiv war, ist die Vertreterin der Heimbewohner, Monika Bünzen. Sie zeigt in ihrem Bad einen der Gründe, warum die Schließung droht: Eine runde, unscheinbare Lüftung unter der Decke. „Wenn es brennt, verteilen diese Lüftungen den Rauch in alle Zimmer“, sagt Wadehn.

Altenheim als Feuerfalle?

Das Gebäude sei für moderne Pflege nicht mehr geeignet, vor allem aber im wahrsten Wortsinn brandgefährlich, heißt es von der Bauaufsicht und der städtischen Brandschutzabteilung. Mindestens 30 Millionen Euro würde eine Renovierung kosten, eine Grundsanierung noch mehr.

Renoviert werden aber muss sowieso, und es gebe schon jetzt zu wenig Heimplätze, argumentierten die Gegner der Schließung. Fast alle Parteien außer der SPD, zu der Bürgermeister Jan Lindenau gehört, sprachen sich für einen Erhalt aus.

Praktisch ist das gar nicht so einfach: Erstens könnten die Bewohner nicht auf einer Baustelle leben, sagt Wadehn. Und dann gibt es noch die Kosten: „Jetzt bezahlen die Bewohner rund 13 Euro am Tag Miete. Nach einer Sanierung wäre es ein Vielfaches.“ Die meisten Senioren hier könnten sich das nicht leisten.

Die Lübecker Bürgerschaft findet, dass es für diese Probleme eine Lösung geben muss. Sie hat am 23. Februar dafür gestimmt, das wahrscheinlich älteste Altenheim Deutschlands nicht zu schließen. Draußen hängt seitdem ein Transparent: „Danke für die Rettung unseres Zuhauses!“

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