Wahlerfolg der CDU in Berlin: Im Osten mit Multikulti erfolgreich

Die CDU sorgt für Mehrstimmigkeit im Abgeordnetenhaus. Erstmals holen eine Russlanddeutsche und eine Abgeordnete mit ukrainischen Wurzeln ein Mandat.

Nach der Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus werden bei einer Öffentlichen Auszählung Wahlbriefe im Bezirk Lichtenberg nachgezählt

Nach Auszählung der Wiederholungswahl lag die CDU auch im Osten vorn Foto: picture alliance/dpa/Jörg Carstensen

BERLIN taz | Mit der neuen Lichtenberger CDU-Abgeordneten Lilia Usik hat Berlin erstmals eine gebürtige Ukrainerin im Abgeordnetenhaus. „Wahrscheinlich bin ich sogar die erste ukrainischstämmige Berufspolitikerin bundesweit“, sagt sie. „Ich habe da keine Forschungen angestellt, aber mir ist niemand sonst bekannt.“

Die 34-jährige Germanistin aus dem derzeit heftig umkämpften Donbass kam 2011 mit einem Stipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung nach Berlin. Nach dem Studium zur Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache zog es sie aber nicht in eine Schule, sondern in die Politik. Sie arbeitete in den Bundestagsbüros zweier CSU-Abgeordneter. Seit 2021 sitzt sie in der Lichtenberger Bezirksverordnetenversammlung und ist dort Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses. Um ins Abgeordnetenhaus zu ziehen, muss die Mutter eines knapp einjährigen Babys das Mandat dort aber aufgeben.

Poträtfoto von Lilia Usik

Lilia Usik Foto: CDU Lichtenberg

Usik gewann das Direktmandat im Lichtenberger Ortsteil Karlshorst überraschend und gegen niemand geringeren als Bausenator Andreas Geisel (SPD). „Die Erwartungen der ukrainischen Diaspora in Berlin an mein Mandat sind riesig“, sagt die neue Abgeordnete der taz. „Die möchte ich natürlich als Politikerin auch unterstützen.“ Nach ihrer Erfahrung fehlt für die Geflüchteten überall an Sprachmittlern, sei es beim Jobcenter oder in Krankenhäusern. „Hier will ich die Situation unter Einbeziehung von Ehrenamtlern verbessern.“ Auch die Wohnsituation von ukrainischen Geflüchteten sei schwierig, sagt Usik, deren Mutter und Schwester seit mehreren Monaten in Berlin leben. Zudem will Usik religiöse Angebote der orthodoxen Kirche der Ukraine in Berlin unterstützen.

Laut zweier Studien der Universität Duisburg-Essen geht die Bindung von Zuwanderern aus einem der Nachfolgestaaten der Sowjetunion an die CDU stark zurück. Das alte Bild, dass diese Gruppe a priori CDU wählen würde, stimmt nicht mehr.

Bei einer 2021 von der Universität durchgeführten repräsentativen Befragung in Duisburg, die Stadt wurde als „Prototyp der modernen Großstadt“ ausgewählt, gaben 20 Prozent dieser Gruppe an, die CDU gewählt zu haben. 2017 waren es, allerdings in einer bundesweiten Studie dieser Universität, noch 27 Prozent. Gestiegen ist auch die Wahlbeteiligung, insgesamt hat sich das Wahlverhalten dieser Gruppe dem Durchschnitt aller WählerInnen angeglichen. Die Wahlpräferenz für die Linke sank von 21 auf 2 Prozent, die der AfD von 15 auf 6 Prozent und die der FDP von 12 auf 7 Prozent. Zugelegt haben SPD (12 auf 30 Prozent) und Grüne (8 auf 28 Prozent).

Stimmen wie die von Usik, die die Situation von Zuwanderern in Berlin verbessern wollen, haben in der CDU bisher eher Seltenheitswert. Allerdings wird es in der neuen Fraktion, der eine deutlich größere Zahl von Menschen mit Migrationsgeschichte aus der Ukraine, der Türkei, Kasachstan und Polen angehören, schwerer werden als bisher, eine Vornamendebatte wie Anfang des Jahres nach der „Silvesterdebatte“ durchzusetzen.

Auch Olga Gauks, die ein Direktmandat im Nachbarbezirk Marzahn-Hellersdorf gewann, gehört zu den CDU-Abgeordneten mit Migrationsbiografie. Die 1987 in Kasachstan geborene und ab ihrem zwölften Lebensjahr im Harz aufgewachsene Lehrerin und Mutter dreier Kinder ist die erste Russlanddeutsche im Berliner Abgeordnetenhaus. Dabei wurde es eigentlich Zeit, dass eine Vertreterin dieser eher stillen Gruppe im Landesparlament ankommt. In Berlin leben rund 200.000 Russlanddeutsche, in Marzahn-Hellersdorf ist es geschätzt jeder Zehnte Einwohner. Eine genaue Statistik gibt es nicht, weil diese Personengruppe einen deutschen Pass hat.

Porträtfoto von Olga Gauks

Olga Gauks Foto: Daniel Steinbrecher

Warum es bisher keine Russlanddeutsche im Abgeordnetenhaus gibt, erklärt Gauks der taz folgendermaßen: „Um gewählt zu werden, muss man erst einmal aufgestellt werden. Mario Czaja (unter anderem CDU-Bezirkschef in Marzahn-Hellersdorf, Anm.d.taz) hat für die CDU erkannt, dass die Deutschen aus Russland nicht nur eine wichtige Wählergruppe sind, sondern auch einen starken Beitrag in der Partei und als Mandatsträger leisten können.“ Ihre Wahl sieht sie auch in einem Zusammenhang zur verdoppelten Mitgliederzahl der CDU in ihrem Bezirk seit der Bundestagswahl.

Abseits des Abgeordnetenhauses sitzen oder saßen Russlanddeutsche in mehreren Bezirksverordnetenversammlungen für fast alle Parteien: CDU, SPD, Grüne, Linke und AfD. Die Berliner Russlanddeutsche Ottilie Klein vertritt die CDU im Bundestag. Im Europaparlament sitzt mit dem Grünen Sergey Lagodinsky zwar kein Russlanddeutscher, aber ein gebürtiger Russe, der als jüdischer Kontingentflüchtling nach Deutschland kam und heute europaweit einer der schärfsten und sachkundigsten Kritiker von Putins Angriffskrieg in der Ukraine ist.

Ob die bis dato eher unauffällige Olga Gauks eine angemessene Vertreterin der Gruppe der russischsprachigen BerlinerInnen in der Politik sein wird, bleibt abzuwarten. Außerhalb der CDU ist Gauks in Marzahn-Hellersdorf kaum bekannt und wohl auch noch nicht politisch in Erscheinung getreten. Die langjährige linke Abgeordnete Manuela Schmidt, die Gauks im Kampf um das Direktmandat in Marzahn-Mitte unterlag, sagt der taz, dass sie Gauks nicht kenne und ihr nie bewusst begegnet sei. Auch der grüne Abgeordnete Stefan Ziller aus Marzahn sagt das so.

Geradezu umtriebig ist hingegen der Ehemann der neuen Abgeordneten, Walter Gauks, der im Bezirk bekannt wie ein bunter Hund ist. Er arbeitet für Mario Czaja, den CDU-Bundestagsabgeordneten und Generalsekretär der Partei, engagiert sich in der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland und ist Geschäftsführer des russlanddeutschen Kulturvereins Lyra e.V.

Drei Tage dagegen dauerte es, bis es der taz gelang, mit Olga Gauks ins Gespräch zu kommen Der Kontakt lief dann – für BerufspolitikerInnen ungewöhnlich – über ein PR-Büro, das die taz um schriftliche Fragen bat und diese schließlich im Namen der Politikerin schriftlich beantwortete.

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