Der Rausch der Jugend

DROGENMISSBRAUCH Zunehmend mehr Jugendliche werden mit Alkoholvergiftungen in Kliniken eingeliefert. Jetzt fordern Experten ein Suchtpräventionsprojekt für Bremen

„Der erhobene Zeigefinger hilft da nicht“, sagt der Kinderarzt Martin Claßen

von Jan Zier

16 Jahre alt ist der Jugendliche, den sie dieser Tage im Krankenhaus Links der Weser eingeliefert haben – mit 3,2 Promille Alkohol im Blut. Seine Körpertemperatur war bereits auf 34 Grad abgekühlt. Und schon bei 2,0 Promille hätte er tot sein können, sagen ExpertInnen. Fälle wie diesen gibt es zunehmend mehr in Bremen: Vergangenes Jahr wurden mehr als 100 Jugendliche mit Alkoholvergiftung in eine der vier staatlichen Bremer Kliniken eingeliefert, 2007 waren es noch 80 gewesen. Jeder dieser Krankenhausaufenthalte kostete rund 500 Euro.

Zwar sind in Bremen seit April diesen Jahres jugendliche Alkohol-Testkäufer in Bremen und Bremerhaven unterwegs. Doch was es im Lande Bremen nicht gibt, beklagt Martin Claßen, Pädiater und Chefarzt im Krankenhaus Links der Weser, das ist ein adäquates Suchtpräventionsprojekt. Ein solches sei aber „dringend gefordert“, sagte Claßen gestern bei einer Fortbildungsveranstaltung der Ärztekammer. Denn das Problem jugendlichen Alkoholmissbrauchs sei auch in Bremen „gravierend“. Claßen nennt als Vorbild das im baden-württembergischen Lörrach entwickelte Modellprojekt „Hart am Limit“. Es setzt auf Gespräche mit den Jugendlichen sowie den Eltern, vor allem aber auf 12-stündige erlebnispädagogische Gruppenangebote. „Der erhobene Zeigefinger hilft da nicht“, sagt Claßen – aber womöglich die Grenzerfahrung beim Tauchen oder Klettern.

Zwar nimmt die absolute Zahl der Alkoholexzesse unter Kindern und Jugendlichen nicht unbedingt zu, sagt Claßen. Doch wenn getrunken werde, dann schwerer, intensiver. Als Schwelle für den Missbrauch gelten vier Bier oder Glas Wein bei Mädchen, fünf bei Jungen. Schon bei 1,5 Promille Alkohol im Blut sind sie komagefährdet. Insgesamt wurden zwischen Juni 2008 und Juni diesen Jahres 97 Mädchen und 91 Jungen im Alter von bis zu 15 Jahren in Bremen wegen einer Alkoholvergiftung behandelt, so das Sozialressort. Bundesweit wurden 2008 mehr als 23.000 Jugendliche mit dieser Diagnose in ein Krankenhaus eingewiesen, davon 3.800 unter 15-Jährige. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 lag die Gesamtzahl bei rund 9.500 Jugendlichen.

Seit April hat Innensenator Ulrich Mäurer deshalb jugendliche Alkohol-TestkäuferInnen losgeschickt. Und ihr erstes Ergebnis, sagt Mäurer, war „deprimierend“: In 80 Prozent aller Fälle bekamen die Jugendlichen Alkohol ausgehändigt. Die EinzelhändlerInnen kostet das 400 Euro Gedlbuße, doch in aller Regel wird dieses Delikt ja nicht verfolgt. Mittlerweile, sagt Mäurer, haben sich die Ergebnisse verbessert, ist die Erfolgsquote der TestkäuferInnen auf 40 Prozent gesunken. Mäurer will die umstrittene Aktion deshalb fortsetzen, auch wenn die Probleme mit ihr „noch überhaupt nicht“ gelöst würden. „Ich bin überzeugt, dass die Maßnahme richtig ist“, sagt Mäurer. Außerdem hat er Einzel- und Großhändler zu runden Tischen eingeladen. Und während Berlin oder Brandenburg keine TestkäuferInnen losschicken, haben vergleichbare Aktionen in Niedersachsen ähnliche Ergebnisse hervor gebracht: In Lilienthal bekamen 42 Prozent der TestkäuferInnen Spirituosen, 38 Geschäfte wurden in vier Tagen kontrolliert.