Völker, stört die Signale

Eine Ausstellung zu sozialistischem Design der 50er bis 80er Jahre setzt vage auf eine internationale Nationale. Trotzdem schön, in die Zukunft von einst zurückzublicken

Von Martin Conrads

Die Aufgabe dürfte keine leichte gewesen, sein – kuratorisch, organisatorisch, politisch: Für die von Claudia Banz, Kuratorin am Kunstgewerbemuseum, initiierte Ausstellung im Kulturforum mussten Exponate zusammengebracht und doch voneinander separiert werden, ausgewählt von kuratorischen Teams oder Einzelpersonen aus Berlin, Bratislava, Brünn, Budapest, Eisenhüttenstadt, Kyjiw, Ljubljana, Prag, Tallinn, Vilnius, Warschau und Zagreb.

Zur Eröffnung von „Retrotopia. Design for Socialist Spaces“ waren sie dann alle da, und es fiel auf: Es sind fast nur Frauen, die hier auf Einladung von Banz gemeinsam eine Ausstellung zu sozialistischem Design der 50er bis 80er Jahre in Ländern des Ostblocks und Teilen Jugoslawiens erarbeitet haben. Meist sind sie freie Kuratorinnen oder in leitenden Funktionen an Designmuseen und Forschungseinrichtungen ihrer Städte und Länder tätig. Eine internationaler zustande gekommene Ausstellung habe es am Kunstgewerbemuseum noch nicht gegeben, so war zu hören, und dass die Ausstellung ein Beitrag zu einer „überfälligen Neubewertung der globalen und dekolonialen Designgeschichte“ sei.

Aufgeteilt ist der Ausstellungsraum dabei in elf „Kapseln“ genannte Einheiten, jede – ein bisschen Venedig-Biennale – einem Land zugeordnet. Sie zeigen jeweils einen Entwurf zur Gestaltung des öffentlichen und des privaten Raums. Insbesondere die Wichtigkeit des Letzteren in der Designgeschichte der repräsentierten Länder wird betont, seien doch der Wohnungsbau und damit verbundene Konzepte zur Gestaltung der Einrichtung ein grundlegendes Ziel sozialistischen Designs gewesen – auch in Konkurrenz zum Klassenfeind. Und so sieht man eine funktionale Kücheneinheit aus Slowenien, einen formschönen Space-Age-Staubsauger aus Litauen oder ein modulares Spielzeugsystem aus Polen.

SPHINX– Superfunktionale Informations- und Kommunikationseinheit, Sowjetunion, 1986–87, Rekonstruktion in Originalgröße Foto: Privatsammlung

Für beides, Öffentliches und Privates, treten in der Ausstellung interessante Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Ländern hervor, gekennzeichnet durch die jeweiligen ökonomischen, politischen und (design-)historischen Bedingungen. Und durch die Differenzen der Jahrzehnte: So fällt der prominent platzierte Beitrag zum DDR-Design, ausgewählt von der neuen Leiterin des Werkbundarchivs, Florentine Nadolni, so bunt aus, wie man es sich für die offizielle DDR fast nur 1973 im Zusammenhang mit den X. Weltfestspielen der Jugend und Studenten in Ostberlin vorstellen kann.

Der Gestalter Lutz Brandt entwarf hierfür etwa farbenfrohe, Internationalismus propagierende „Fahnentürme“. Das gezeigte fragile Modell eines solchen Turms steht für die Ausstellung wohl sinnbildlich auch für die erzwungene politische Verbundenheit der hier gezeigten Designkulturen.

Dass diese bis heute fortwirkt, wird in der ukrainischen Kapsel deutlich: Die Kyjiwer Kuratorin Polina Baitsym zeigt hier unter anderem Fotografien mit Glasgemälden auf Fenstern. Ein Foto bildet ein Fenster aus dem Krankenhaus in Butscha ab, in dem 2022 russische Truppen Gräueltaten verübten, ein anderes zeigt das Fenster eines Kulturpalastes in Mariupol, das vermutlich im Juni/Juli 2022 vernichtet wurde. Eine russische „Kapsel“ gibt es in der Ausstellung nicht, stattdessen weicht man zu einer Kapsel über „sowjetisches Design“ aus. Darin zeigt die aus Moskau stammende, in Deutschland lebende freie Kuratorin Alyona Sokolnikova auch ein Modell für ein Erdöl-Museum in Baku von 1972, für das sich ein internationales Künst­le­r:in­nen­team große Regenbögen aus farbigem Plastik erdachte. Dass es damals nicht um Toleranz, sondern um den tollen Farbeffekt von Ölschlieren ging, ließe sich heute auch als subtile Kritik Sokolnikovas lesen.

Modell des „intelligenten Arbeitsraums“ in Originalgröße, Moskau, Sowjetunion, 1971, Reprint, 2023 Foto: Privatsammlung Wladimir Paperny

Die „sowjetische“ Kapsel wirft aber eine ganz andere Frage auf, die die Ausstellung nur ungenügend löst: Warum wird eine Arbeit für Baku nicht von einer aserbaidschanischen Kuratorin vertreten – zumal „Retrotopia“ jeweils sehr distinguiert arrangierte Kapseln der ehemaligen Sowjetrepubliken Litauen und Estland zeigt? Sowohl Banz als auch Baitsym und Sokolnikova sprechen von notwendiger „Dekolonisierung“ des Designs, bleiben aber mit ihrer Forderung eher vage.

Der stattgefundene „Lernprozess über Zuschreibungen und kulturelle Identität“, von dem Banz berichtet, ist also noch nicht abgeschlossen. Der von der Hauptausstellung unglücklich abgekapselte „Archiv“-Teil der Ausstellung mit mindestens ebenso interessanten Objekten stellt in seinem Zustand unzureichender Vermittlung – im Gegensatz zum Katalog – eine verpasste Gelegenheit dar, solche Fragen zu dem allemal spannenden Ausstellungsthema zu vertiefen.

Retrotopia. Design for Socialist Spaces: Kunstgewerbemuseum im Kulturforum. Bis 16. Juli