Grüner Mantel

Von diesem Jahr an, und bis 2014, will das Unternehmen Daimler unter der Bezeichnung E-Car2go sukzessive 300 elektrisch betriebene Leihfahrzeuge der Marke Smart im Stadtgebiet aufstellen. Der Energieversorger EnBW stellt dafür 150 Ladestationen bereit. Der Beginn einer nachhaltigen Mobilität?

von Dietrich Heißenbüttel

Umweltfreundlicher geht es kaum: Carsharing, E-Autos, Busse, Straßenbahnen – und das alles miteinander vernetzt. Getestet wird diese moderne Welt im kommenden Jahr in Stuttgart.“ So einfach ist es, wenn man der Zeitung mit den vier großen Buchstaben glaubt. Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster hat die Angelegenheit zur Chefsache gemacht. Dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann bleibt nichts anderes übrig, als sich brav danebenzustellen, wenn der große Automobilhersteller seinen elektrisch betriebenen Kleinwagen samt Stromzapfsäule vor der prestigeträchtigen Kulisse des Neuen Schlosses zur Schau stellt. Umweltpolitik leicht gemacht – doch wie viel ist dran an der Geschichte vom emissionsfreien Autoverkehr?

Wo liegt aus ökologischer Sicht der Vorzug des Carsharing? Doch wohl darin, dass sich jeweils mehrere Nutzer ein Fahrzeug teilen. Welches Interesse sollte aber der Pkw-Hersteller Daimler an einer Reduzierung des Fahrzeugbestands haben? Anders als bei Konkurrenten wie dem ältesten Carsharing-Anbieter Stadtmobil ist die Einstiegsschwelle niedrig. Es gibt keine hohe Kaution, eher höhere Gebühren pro Zeiteinheit, dafür aber kostenfreie Parkplätze. Und in Kombination mit einem VVS-Jahresticket sinkt der Preis.

Die Mär vom emissionsfreien Antrieb

Das bedeutet, das Angebot ist attraktiv für auswärtige Gäste, die nicht mit dem eigenen Fahrzeug angereist sind, oder für regelmäßige Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs, sicher auch für junge Leute, die noch kein eigenes Auto haben. „Taxi zum Selberfahren“ nennt das Ulrich Stähle, der Geschäftsführer von Stadtmobil. Wird es den Autoverkehr im Stadtgebiet reduzieren? Er könnte sogar zunehmen, wenn nämlich Fahrgäste von Bus und Bahn nun stattdessen den E-Smart benutzen.

Abgasfrei Auto fahren: Das klingt zweifellos gut. Alle Gemeinderäte, die für das Projekt votiert haben, gehen davon aus, dass die Umstellung des Autoverkehrs auf elektrischen Antrieb die Umweltbilanz automatisch verbessert. Aber ein Rundum-sorgenfrei-Paket gibt es nicht. Sicher: ein elektrisch betriebenes Fahrzeug bläst keine Stickoxide und kein CO2 aus dem Auspuff. „Lokal emissionsfrei“ nennen das die Hersteller: Die Emissionen entstehen anderswo: im Kraftwerk, das den Strom erzeugt, aber auch bei der Herstellung des Fahrzeugs und der Batterie, beim Transport der Komponenten oder bei der Entsorgung. Vor allem für die Rohstoffgewinnung, den Transport und die Herstellung der Lithium-Ionen-Batterien ist deutlich mehr Energie nötig als im Falle eines gewöhnlichen Benzin- oder Dieselfahrzeugs.

Lithium wird vorwiegend aus ausgetrockneten Salzseen in den Anden gewonnen – allen voran in der Atacama-Wüste in Chile. Noch größere Vorkommen lagern bei Potosí in Bolivien. Die dortigen Silbervorkommen füllten jahrhundertelang europäische Schatzkammern. Heute herrscht erneut Goldgräbermentalität. Rund drei Viertel der Lithium-Weltvorräte werden hier vermutet. Doch Boliviens Präsident Evo Morales möchte diesmal die einheimische Bevölkerung an den Gewinnen beteiligen. Lithium ist im dortigen Salz in einer Konzentration von 0,1 bis 0,3 Prozent enthalten – mehr als überall sonst, 10.000-mal mehr als im Meerwasser, das theoretisch auch als Ausgangsmaterial dienen könnte.

Aus dem Salz muss unter hohem Energieaufwand hochkonzentriertes Lithium hergestellt werden. Um daraus eine Lithium-Ionen-Batterie zu machen, bedarf es einer Konzentration von über 99 Prozent. Bisher fertigt Bosch Akkus gemeinsam mit Samsung in Südkorea. Diese Partnerschaft steht nun in Frage, und Samsung scheint am längeren Hebel zu sitzen. Lithium-Ionen-Akkus finden auch in Laptops, Handys und weiteren elektronischen Geräten Verwendung. Ob das weltweit vorhandene Lithium überhaupt ausreicht, um den Autoverkehr der Welt auf Elektroantrieb umzustellen, erscheint zweifelhaft.

Welcher Energieaufwand für die Rohstoffgewinnung, den Transport und die Herstellung der Batterien nötig ist und wie viel Emissionen dabei anfallen, bleibt das gut gehütete Geheimnis der Hersteller. „Belastbare und öffentlich verfügbare Daten von industriellen Herstellern von Li-Ionen-Batterien, die in heutigen Elektrofahrzeugen eingesetzt werden, liegen nicht vor“, stellt eine Schweizer Studie zur Umweltbilanz von Elektroautos vom November 2011 fest, die wiederum drei verschiedene Untersuchungen vergleicht, die zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen gekommen waren.

Je nachdem, ob man den Primärenergieaufwand, den CO2-Ausstoß oder andere Parameter betrachtet, schneidet das Elektrofahrzeug über die gesamte Lebensdauer mal besser, mal schlechter ab. Entscheidend ist vor allem, woher die elektrische Energie stammt.

Nun hat der Stuttgarter Gemeinderat beschlossen, für das Carsharing-Projekt ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien zu verwenden. So weit, so gut, könnte man meinen, aber das ist eine Milchmädchenrechnung. Entscheidend dafür, wie viele Emissionen bei der Stromherstellung anfallen, ist nicht, wer den Strom verbraucht, sondern zu welchen Teilen der Strom insgesamt aus erneuerbaren Energien gewonnen wird. Wenn der Autoverkehr mit „sauberem“ Strom betrieben wird, dafür aber die Bahn oder die Industrie umso mehr Strom aus Kohle- und Kernkraftwerken verwenden, ändert sich an der Bilanz gar nichts.

Aus Sicht der Grünen-Gemeinderatsfraktion „handelt es sich bei E-car2go bei allen noch nicht beantworteten technischen, ökonomischen und ökologischen Fragen rund um die Elektromobilität um ein innovatives und dem Ziel einer nachhaltigen Mobilität näher kommendes Konzept.“ Sicher, innovativ ist alles, was neu ist. Aber wer sagt, dass das Projekt tatsächlich dem Ziel einer nachhaltigen Mobilität näher bringt? Wer beantwortet die ökologischen Fragen? Vieles, was eigentlich einer Überprüfung bedürfte, nämlich ob E-Carsharing à la Daimler eher dem privaten oder dem öffentlichen Verkehr Konkurrenz macht oder wie sich die Energie- und Umweltbilanz der Fahrzeuge über den gesamten Lebenszyklus verhält, bedürfte einer genauen Untersuchung. Nur ist die nicht geplant. Der „Versuch“ besteht lediglich darin, festzustellen, ob die Elektromobile selbst und die Stromtankstellen-Logistik funktionieren.

Was ist gewonnen, wenn CO2-Emissionen nicht auf Stuttgarter Straßen, dafür aber in koreanischen Kohlekraftwerken anfallen, welche die zur Batterieherstellung benötigte Energie erzeugen? Wenn der Strom für das Carsharing-Projekt aus erneuerbaren Energien bezogen wird, sich aber an der Zusammensetzung des Strommix insgesamt nichts ändert? Inwiefern nützt es der Umwelt, wenn die Lithium-Reserven der Welt für den hiesigen Autoverkehr aufgebraucht werden, während in China oder Indien umso mehr Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren, noch dazu auf einem älteren technischen Stand, in Betrieb gehen? Die globale Klimaerwärmung lässt sich so nicht aufhalten.

Wie müsste eine nachhaltige Verkehrspolitik aussehen?

Nirgendwo in Deutschland wird seit Jahr und Tag so viel Feinstaub gemessen wie auf der B 14 in der Stuttgarter Innenstadt. Der stammt aber nicht nur aus dem Auspuff der Fahrzeuge, sondern ebenso aus Reifen-, Straßen- und Bremsabrieb. Selbst eine vollständige Umstellung aller Stuttgarter Automobile auf Elektroantrieb würde vermutlich noch nicht einmal ausreichen, um die EU-Grenzwerte einzuhalten. In der Innenstadt gibt es andererseits einen gut funktionierenden öffentlichen Verkehr, sodass immer mehr Menschen auf Bahn und Bus umsteigen. Eine neue Variante des Individualverkehrs ist hier eigentlich unnötig.

Anders verhält es sich in den Randbereichen, wo die Busse seltener fahren. Sie fahren seltener, weil es weniger Fahrgäste gibt, die das Angebot nutzen, und es gibt umso weniger Fahrgäste, je schlechter das Angebot ist. Hier könnte eine innovative Verkehrspolitik gegensteuern, zum Beispiel mit Carsharing-Systemen, Sammeltaxis oder Rufbussen. Das Resultat könnte sein, dass mehr Menschen als bisher mit der Bahn aus dem Umland anreisen. Dies würde die großen Ausfallstraßen wie die B 14 entlasten. Allerdings sind die Züge aus dem Umland auch so schon voll. Egal wie man den Stresstest bewertet: Mit dem Rückbau des Hauptbahnhofs wird eine Kapazitätssteigerung auf alle Zeiten verhindert.

Mit anderen Worten: Eine nachhaltige Verkehrspolitik kann nicht in einem zusätzlichen Carsharing-Angebot bestehen oder darin, punktuell Elektro- statt Dieselfahrzeuge bereitzustellen. Sie kann sich nur aus einer Verbesserung des Gesamtsystems ergeben, auf der Grundlage einer Untersuchung und Steuerung der gesamten Verkehrsströme der Region, die bis nach Aalen und Tübingen reicht. Dem Automobilhersteller ist nicht vorzuhalten, dass er seine Fahrzeuge als umweltfreundlich vermarktet. Aber die Politik müsste die Rahmenbedingungen vorgeben. In einem intelligenten Verkehrssystem, das im Sinne des Allgemeinwohls nicht von einzelnen Anbietern, sondern von der Politik entworfen und organisiert werden kann, wird das Unternehmen, das nicht nur Pkw-, sondern auch weltgrößter Bushersteller ist, so oder so eine wichtige Rolle spielen.