Kritik an Flüchtlingsgipfel: Von Placebo bis Populismus

Abgeordnete von Grünen und SPD kritisieren die geplanten Asylrechtsverschärfungen scharf. Einzelne sehen „rote Linien überschritten.“

Eine Person wird von Polizisten zu dem Eingang eines Flugzeugs geführt

Polizeibeamte begleiten 2019 einen Afghanen auf dem Flughafen Leipzig in ein Charterflugzeug Foto: Michael Kappeler/dpa

BERLIN taz | Eine Einmalzahlung für die Kommunen, gepaart mit einem ganzen Katalog an Asylrechtsverschärfungen: Viele Bundestagsabgeordnete aus den Reihen der Ampelfraktionen reagieren entsetzt auf das, was Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwochabend mit den Mi­nis­ter­prä­si­den­t*in­nen der Bundesländer vereinbart hat. Die Beschlüsse stellten eine „weitgehende Aushöhlung des Rechtsstaats dar“, sagte etwa der Grünen-Politiker Julian Pahlke der taz.

Bund und Länder hatten in ihrem Beschlusspapier nach stundenlangen Verhandlungen festgehalten, Abschiebungen erleichtern und intensivieren zu wollen – etwa durch eine Ausweitung des Ausreisegewahrsams, lageabhängige Grenzkontrollen und die Möglichkeit, Mobiltelefone von Geflüchteten auszulesen und in Sammelunterkünften mehr Räume als nur die des Abzuschiebenden zu betreten.

Außerdem unterstreicht das Papier der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) die deutsche Unterstützung für Pläne der EU-Kommission zur Reform des europäischen Asylsystems. Dieses sieht für bestimmte Gruppen Asylsuchender Verfahren im Schnelldurchlauf an den EU-Außengrenzen vor. Auch soll es mehr als „sichere Drittstaaten“ deklarierte Länder geben – wer ein solches auf dem Weg in die EU durchquert, soll ohne Asylverfahren dorthin zurückgeschickt werden. Diese Pläne bezeichnete Pahlke als „brandgefährlich“.

Dass der Bund die Unterbringung und Integration Geflüchteter mit einer zusätzlichen Milliarde Euro fördern will, begrüßte Pahlke. „Aber die Asylrechtsverschärfungen sind ein Placebo, das nichts zu suchen hat in einer Debatte, in der es sehr konkret um mehr Unterstützung für Länder und Kommunen ging.“

Ob all diese Pläne Wirklichkeit werden, darüber dürfte in der Ampelkoalition in den kommenden Wochen und Monaten hitzig diskutiert werden. Pahlke sagte: „Ich werde mir definitiv nicht zu eigen machen, was der Kanzler auf der MPK verhandelt hat, und zwar in Absprache mit Ministerpräsidenten wie Markus Söder oder Michael Kretschmer statt mit dem Koalitionspartner.“

„Gesetzgeber ist und bleibt das Parlament“, sagte die Grünen-Migrationsexpertin Filiz Polat der taz. Was im Papier völlig fehle, sei die in der Ampel eigentlich fest vereinbarte „Integrationsoffensive“: Sprachkurse von Anfang an, uneingeschränkter Zugang zum Gesundheitswesen, Kita- und Schulplätze und die umfassende Abschaffung von Arbeitsverboten für Geflüchtete.

„Der pauschale Ruf nach mehr Abschiebungen ist eine populistische Debatte“, so Polat. Die Schutzquote unter den Asylsuchenden liege über 70 Prozent, unter den Geduldeten seien zwei Drittel Kinder und Jugendliche, nicht wenige seien Syrer oder Afghanen, die nicht abgeschoben würden. „Wir brauchen eine politische Antwort, die Chancen bietet und Perspektiven eröffnet – und keinen Nährboden für einen rechten Diskurs.“ „Der MPK-Beschluss bedient das Race to the Bottom, bis vom Grundrecht auf Asyl nichts mehr übrig ist“, kritisierte auch die Grünen-Abgeordnete Karoline Otte. „Für mich als grüne Abgeordnete wurden hier entscheidend rote Linien überschritten.“

Allein stehen die Grünen mit ihrer Kritik an den MPK-Beschlüssen aber nicht da. Die Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal hatte die Pläne als „einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung unwürdig“ bezeichnet. Auch der SPD-Abgeordnete Hakan Demir begrüßte die zusätzliche Milliarde für die Unterstützung der Kommunen – bezeichnete aber die Abschiebehaftvorhaben als „unverhältnismäßige Verschärfungen“, die nicht zu weniger Asylsuchenden führen würden.

Das MPK-Papier sieht vor, Georgien und Moldau als sogenannte sichere Herkunftsstaaten einzustufen. Menschen aus diesen Ländern hätten dann kaum noch Aussicht auf Asyl. Demir hingegen schlägt Abkommen mit diesen Ländern vor, um Menschen von dort den Weg nach Deutschland über den Arbeitsmarkt zu öffnen. „Wer sagt: Wir brauchen 400.000 Fach- und Arbeitskräfte jedes Jahr, muss auch die Voraussetzungen dafür schaffen“, so Demir. Ein Gesetzentwurf zur Fachkräftemigration befindet sich derzeit im parlamentarischen Verfahren.

In der Opposition gehen die Meinungen auseinander. Er hoffe, dass die Ampel ihre angekündigten Restriktionen „zügig“ umsetzen werde, sagte der CDU-Innenpolitiker Alexander Throm. „Ein üppiges Asyl- und Sozialsystem und ungeschützte Grenzen passen auf Dauer in unserer mobilen Welt nicht zusammen.“

Die Linke ist da anderer Meinung. „Es müsste umfassend und langfristig in Wohnungen, Kitas und Schulen investiert werden“, so die Linken-Abgeordnete Clara Bünger. Asylrechtsverschärfungen hingegen spielten bloß „rechten Hetzern in die Hände, die Migration zum Ursprung aller Probleme erklären.“

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