Der Hausbesuch: Lebenslang Stunker

Jahrelang mischte Bruno Schmitz, Mitgründer der Kölner Stunksitzung, das Spießbürgertum auf. Kultur veranstaltet er immer noch, ohne Renditedenken.

Ein älterer Mann in dunkelrotem Hemd auf einem Stuhl, im Hintergrund ein Klavier und eine Gitarre

Hat das Rampensaudasein erst vor Kurzem aufgegeben: Bruno Schmitz Foto: Andreas Teichmann

Karneval ohne Ende oder Ende ohne Karneval – bei Bruno Schmitz ist die Sachlage noch unklar.

Draußen: Bruno Schmitz lebt in seiner Geburtsstadt Kleve in gleich zwei Häusern hintereinander. Zur Straße hin der Büro­quader, daran steht „kulturbüro niederrhein“. 15 Meter dahinter, umgeben von viel Garten mit üppigem Strauchwerk, seine zweistöckige Wohnwelt. Man hört Vogelgezwitscher. Das Doppelheim ist ein Idyll zum guten Leben und zum kreativen Arbeiten, sagt der 76-Jährige mit spitzbübischem Blick. „Beim Häuserwechsel betrete ich jedes Mal einen anderen Kosmos.“

Drinnen: Innen ist das Wohnhaus von 1929 licht, weite Fenster bis zum Boden, helles Holz. Seit 1996 lebt Schmitz hier. Bei der Komplettrenovierung kamen Wände raus, so wird auch ein kleines Haus groß. Alles ist weiß getüncht, minimalistisch, nur ein paar Bilder und Kunstobjekte von FreundInnen, ein Klavier. Die Garderobe ist eine Installation aus Rohren einer stillgelegten Molkerei, im Bad eine einsame Strelitzie als Blickfang an den weißen Kacheln. „Ich gebe dem Raum Raum, ich will reduziert leben. Was man ein Jahr nicht angefasst hat, kann weg.“

Karneval: Schmitz war vor knapp 40 Jahren Mitgründer der heute legendären Kölner Stunksitzung. Stunk ist Politkabarett und Satire, teils mit Mitteln des veralberten kölschen Alaaf-Brauchtums: In mehr als 1.500 Sitzungen ist Bruno Schmitz seitdem über die Bühne getobt; meist in bösen, provozierenden Rollen, als Schauspieler, Musiker (Gitarre, Geige) und kraftstrotzender Sänger. Immer wieder Giftpfeile abschießend gegen die katholische Kirche, etwa als er Sinatras „My Way“ als schwuler Sadomaso-Priester schmetterte: „… tut mir am Ei weh.“ Hohn und Spott auf das Spießbürgertum, falsche Politik, linksgrüne Dogmen. Jüngst hat er Steffen Baumgart parodiert, den Trainer des 1. FC Köln; Schmitz gab den brüllenden Coach ­einer fiktiven FC-Ampelregierung: „Öz-de-mir, du sollst nicht Gras rauchen, sondern Gras fressen!“ Im Februar hat Schmitz aufgehört mit Stunk.

Widerspruch: „Ich habe Schluss gemacht mit der Bühne! Stunker bin ich lebenslang.“ Schmitz bleibt einer der 24 GesellschafterInnen von Tuschfactory, der Firma, die Stunk plant und die Programme auskaspert. SchauspielerInnen und Mitglieder der Stunkband Köbes Underground sind das. Ausführlich erzählt Schmitz zahlreiche Details aus dem Lebensprojekt politischer Alternativkarneval. Von den Anfängen an der Uni und den jetzt drei Jahrzehnten im riesigen „E-Werk“ in Köln-Mülheim mit 60 Abenden jährlich à 1.250 ZuschauerInnen. Millionen­umsätze? „Klar, aber am Ende bleiben für alle höchstens Lehrergehälter.“ Etwas Bühne bleibt auch ihm: „Stunk unplugged“ geht weiter, eine Art Best-of, mit einer Handvoll Aktiver, 20 Abende im Jahr kreuz und quer im Rheinland.

Schmitz auf einer Wiese vor einem weißen Haus

Wohnen und Kulturarbeit liegen bei Bruno Schmitz nah beieinander Foto: Andreas Teichmann

Gitarre: Highlights bei Stunk? Schmitz überlegt einen Moment, antwortet aber nicht, sondern holt eine abgewetzte Gitarre auf die Terrasse. „Ich bin Schlepper von Beruf“, intoniert er, „dank der EU, die dieses gold’ne Handwerk schuf …“ und singt alle Strophen durch. Der umgetextete Klempner-Song von Reinhard Mey 1973, als Thema die gepeinigten Flüchtlinge an Europas Außengrenzen. Auf der Gitarre prangt ein „Atomkraft? Nein danke“-Aufkleber. Der ist ein idealer Aufhänger zum nächsten Thema.

Kalkar: Keine 15 Kilometer vor Kleve liegt Kalkar. Da wurde Ende der 1970er Jahre der Schnelle Brüter gebaut, der nie ans Brüten kam. Der Atomkraft-Widerstand war riesig, Bruno Schmitz weit vorn dabei. Das Melkhaus des berühmten Bauern Josef Maas hatten er und andere zum Bürgerhaus und Treffpunkt umfunktioniert. Am Vorabend der großen Demo 1977, mitten im Deutschen Herbst, fuhren Polizeipanzer in den Hof, Beamte stürmten mit aufgerichteten Maschinengewehren das Haus. „‚Wo sind die Waffen?‘, haben sie gebrüllt.“ Schmitz breitet aus Klarsichtmappen viele schwarz-weiße und schwer farbstichige Bilder von damals auf dem Küchentisch aus. Eine Zeitreise. Wie wir da alle aussahen!

Nebenbei Lehrer: Den Job an der Schule gab Schmitz (Fächer: Politik, Geschichte, Deutsch, Musik) nach ein paar Jahren auf. In den Pausen hatte er auf dem Schulhof gern Gitarre gespielt und aufrührerische Lieder gesungen, soweit das die Kultusbürokratie zuließ. Bilder der Zeit zeigen seine noch tiefschwarzen Haare lockig lang, dichter Vollbart, volles Klischee. Schmitz’ Motto: „Ich will Kleve politisch und kulturell beeinflussen.“ Nach dem Pädagogikstudium in Düsseldorf war es 1970 losgegangen im Klever „Haus am Damm“, der ersten WG am Niederrhein. „Wir waren angemessen verrufen im Ort.“

Handwerker: Das Kulturbüro vorne hat Schmitz 2013 neu gebaut, respektive: bauen lassen. Zur großen Einweihung hatte er alle beteiligten Handwerker eingeladen, Maurer, Schreiner, Dachdecker, Klempner auch, sonstige Schrauber. „Das hatten die auch noch nicht erlebt.“ Sein Freund und Ex-Stunker Jürgen Becker („Mitternachtsspitzen“) trat auf. Mit Becker hatte er auch mal die Wohnorte getauscht: Schmitz weilte in Köln, Becker schrieb in der Klever Ruhe ein neues Bühnenprogramm.

Kleinkunst: Mit Kollegin Barbara, seiner Angestellten, macht Schmitz im Vorderhaus weiter Kulturarbeit: Kleinkunst-Veranstaltungen und Open-Air-Festivals vom Niederrhein bis ins Münsterland organisieren, dabei junge Leute puschen und Arrivierte in die Provinz locken. Dieter Hildebrandt war da, Pispers, Knebel, Schmickler, da gelte es immer „gute Deals mit den Agenturen zu machen und sich vor Ort gut zu kümmern“. Stolz ist Bruno Schmitz, dass drei Jahre lang eine Auszubildende im Büro dabei war, als Veranstaltungskauffrau. Vorher kam die IHK skeptisch gucken, „dann war die junge Frau Beste in ihrem Jahrgang“.

Alter: 76, na und!? Quirlig wirkt er, drahtig, frisch, die braunen Augen immer lustig und schelmisch unterwegs. Die Eltern, 103 und 99 Jahre alt, wohnten ein paar Straßen weiter und waren 79 Jahre verheiratet. Vor sechs Wochen ist der Vater gestorben. Einzelkind Bruno war mit 47 Spätvater geworden und hat seit 2022 einen Enkelsohn. Ex-Frau und der kleine Valentin leben in Bayern. Seine Freundin aus dem Sauerland und er führen eine Wochenendbeziehung, „so oft es geht“.

Wehmut: Schmitz war immer der Älteste im Stunk-Ensemble. Fast alle sind heute über 60. Alle würden sich die gleiche Frage stellen: Wie lange will und kann ich noch? Denn: „Das ist wirklich ein Hochleistungsjob.“ Einer der Jüngsten, Hans Kieseier, lange sehr krank, ist im Mai gestorben, mit lächerlichen 60 Jahren. Bis jetzt sei er mit dem Rücktritt „absolut glücklich“, sagt Schmitz. Und im nächsten Winter, wenn die anderen wieder jubelumtost die Bühne entern? „Kann ich nicht einschätzen. Vielleicht fahre ich mal vier Wochen im Winter in die Sonne. Ging ja 40 Jahre lang nicht.“ Vermissen werde er sein Nebenzuhause: drei Monate Abend für Abend immer zu viert in einer Künstlergarderobe in den Katakomben des E-Werks. „Das haben wir richtig geliebt. Das war Klein-WG für lange Abende, wunderschön.“ Die Eitelkeit aber wird an ihm nagen. „Ich bleibe ja eine Rampensau. Ob ich den Blues kriege? Keine Ahnung.“

Hundertundsechs volle Meter: Der nimmermüde Mann wirkt noch in einem zweiten Areal, keine 500 Meter entfernt. Da erhebt sich ein Berglein samt kleinem Hochplateau, 106 Meter über NN sind es, umgeben von viel Wald. „Der höchste Punkt zwischen Südnorwegen und der Eifel.“ Ein gesichtsloser Betonklotz samt abgerocktem Restaurant stand hier. Schmitz kaufte der Stadt das Gebäude vor ein paar Jahren für wenig Geld ab: „Alle haben gesagt: Bruno, du bist bekloppt!“

Eine Lesebrille

Hilft enorm beim Lesen Foto: Andreas Teichmann

Draußen 2: Der Bekloppte ließ das Haus mit vielen großen Fensterflächen kernsanieren und fand „einen neuen, groß­artigen Wirt als Pächter“. Auf der Rückseite lockt eine schmucke Dreiviertelkreis-Terrasse, mittig darauf ein 15 Meter hoher alter Aussichtsturm aus Backstein. Den wiederum pachtete Schmitz für 50 Jahre von der Stadt: „Ich hatte Vorschläge zur Renovierung, zur Beleuchtung, dass die kleinen Fenster auch zu öffnen sind. Der Bauamtsleiter war Schüler bei mir: Ich hab ihm gesagt: Wenn das nicht klappt, kriegst du nachträglich eine 6.“ Am nächsten Tag hat er zugesagt, sich dafür einzusetzen.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Turm forever: Im Sommerhalbjahr veranstaltet Schmitz kleine Events im lauschigen Garten­lokal: Lesungen, Theater, Kino auf Großbildleinwand für gut hundert Leute. „Genuss und Kultur heißt das, alles ohne Rendite­denken.“ Musik auch mal mit Bläsereinsatz aus den Turm­luken. „Der Laden brummt. Ein Investor hat mir schon eine Riesensumme geboten. Ich hab gesagt: Verpiss dich! Gemeinwohl ist wichtig. Deshalb werde ich das Projekt auch mal einer Stiftung vermachen.“

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