„Die Täter haben ihn fünf Stunden lang gequält“

Rechte Gewalt: Vor 30 Jahren wurde Horst Hennersdorf ermordet. Eine Initiative erinnert nun an ihn

InterviewUta Schleiermacher

taz: Frau Gutekunst, am 5. Juni 1993 – vor genau 30 Jahren – wurde Horst Hennersdorf in Fürstenwalde ermordet. Wer war dieser Mensch?

Cordula Gutekunst: Über sein Leben ist wenig bekannt. Leider. Geboren wurde er am 25. Juni 1955, ich weiß nicht wo. Als er starb, war er 37 Jahre alt. Freunde sollen ihn „Horstel“ genannt haben. Das ist es auch schon fast. Wir haben bisher keine Angehörigen gefunden.

Wie ist er gestorben?

Die Täter, ein 15- und ein 21-Jähriger, haben ihn fünf Stunden lang gequält. Horst Hennersdorf war an dem Tag bei den beiden zu Gast, er hat sich dort wohl ab und an aufgehalten. Er war wohnungslos. An dem Tag gab es Streit, die Täter haben ihn als „Schnorrer“ bezeichnet, der sich „überall durchschlauche“. Sie haben ihn verprügelt und getreten, als er schon am Boden lag, sind sie auf ihm herumgesprungen, haben auf ihn uriniert und ihn mit Fäkalien übergossen. Bis sie gemerkt haben, dass er nicht mehr atmet. Es waren auch zwei Frauen anwesend, sie haben die Täter wohl gebeten aufzuhören, sind aber nicht eingeschritten. Danach haben die Täter den Leichnam im Geräteschuppen versteckt und später im Wald verscharrt, wo ihn Kinder zwei Wochen später gefunden haben.

Warum gilt Hennersdorf als Opfer rechter Gewalt?

Erst seit 2015 hat das Land Brandenburg seinen Tod als rechts motiviert anerkannt. Im Mordprozess spielte die rechte Gesinnung der Täter noch keine Rolle: Das Landgericht Frankfurt (Oder) hatte sie 1994 wegen „Körperverletzung mit Todesfolge“ verurteilt. Die Täter haben sich im Prozess rassistisch und „sozialdarwinistisch“ geäußert. Sie haben Hennersdorf als „niederen Menschen“ bezeichnet, ihn als minderwertig betrachtet. Mir ist rätselhaft, wie das Gericht kein rechtes Tatmotiv erkannt hat.

Wie war es in den 1990ern in Fürstenwalde?

Da ich selbst erst 1993 geboren bin, weiß ich das nur aus Erzählungen und was ich gelesen habe. Es gab Überfälle auf die linke Jugend und Angriffe auf offener Straße auf Geflüchtete. Auch von Schaulustigen, die das mitangesehen haben, habe ich gelesen. Fürstenwalde Nord galt als sogenannte national befreite Zone, da war es für Linke und People of Colour besonders gefährlich. Aber es gab auch Solidarität: Bei einem drohenden Nazi-Angriff auf ein Heim für Geflüchtete haben sich Bür­ge­r*in­nen und der Bürgermeister schützend vor dem Heim versammelt. Die Polizei hat den Nazis den Weg über die Brücke versperrt, sodass es zu keinem Angriff kam.

Und heute?

Cordula Gutekunst, 1993 geboren, lebt seit 2022 in Fürstenwalde /Spree und engagiert sich in einer noch recht jungen Initiative zum Andenken an den rechts motivierten Mord an Horst Hennersdorf vor 30 Jahren.

Ich wohne erst seit 2022 hier. Mir fällt auf, dass die Menschen sehr nebeneinanderher leben. Im Parkclub habe ich politisch Gleichgesinnte gefunden. Aber man muss sich nicht mit der Vergangenheit auseinandersetzen, wenn man nicht will. Mir gefällt dieses „Leben und Leben lassen“ nicht so gut, ich würde mir mehr Kontaktpunkte und politische Auseinandersetzung wünschen.

Wie wurde bisher an Hennersdorf erinnert?

Das ist ja das Traurige: Gar nicht. Wir haben aber nun die Kontakte zur Amadeu Antonio-Stiftung und zur Opferperspektive Brandenburg und wollen auf jeden Fall weitermachen. Auf lange Sicht wünschen wir uns einen dauerhaften Gedenkort.

Die Ausstellung „Kein schöner Land – Todesopfer rechter Gewalt in Brandenburg“ der Opferperspektive Brandenburg ist bis zum 5. Juli im Parkclub in Fürstenwalde zu sehen