Gegenoffensive gegen Russland: Ukraine nimmt Kurs auf Mariupol

Ukrainische Truppen rücken im Süden des Landes immer weiter vor. Russlands Militär will jetzt die Wagner-Gruppe mehr kontrollieren.

Soldaten sitzen auf einem Panzer. Einer von ihnen zeigt mit beiden Händen das Victory-Zeichen

Ukrainische Soldaten im befreiten Dorf Neskuchne nahe der Front Foto: Oleksandr Ratushniak/reuters

Die ukrainische Gegenoffensive im Süden der Ukraine nimmt weiter an Fahrt auf. Sieben Ortschaften und 90 Quadratkilometer haben die ukrainischen Streitkräfte nach eigenen Angaben vom Dienstagmorgen seit Beginn der „Offensivaktionen“ vor einer Woche von den russischen Besatzern zurückerobert. Nachdem auch der Fall der tagelang umkämpften Kleinstadt Makiriwka bestätigt wurde, errechneten westliche Militärbeobachter am Dienstagnachmittag bereits 13 befreite Ortschaften und 100 Quadratkilometer innerhalb der vergangenen 36 Stunden.

Die Angriffe konzentrieren sich auf einen Frontbereich an der Grenze zwischen den Gebieten Saporischschja und Donezk in einer Gegend, wo Straßen direkt in Richtung Mariupol verlaufen. Das Asowsche Meer liegt rund 90 Kilometer von der Front entfernt. Französischen Analysten zufolge befinden sich die ukrainischen Truppen noch etwa 15 bis 20 Kilometer von den wichtigsten Verteidigungsstellungen der russischen Armee in diesem Gebiet entfernt. Sollten sie diese durchbrechen, stünde ihnen der Weg nach Mariupol offen.

Für einen solchen Durchbruch hält die Ukraine noch zahlreiche westlich ausgerüstete Brigaden in Reserve. Einige westliche Kampfpanzer der Ukraine wurden allerdings offenbar bereits zerstört; russische Quellen vermelden auch die Eroberung eines Leopard-Kampfpanzers, bestätigt mit entsprechenden Fotoaufnahmen. In der Nacht zu Dienstag wurden außerdem erneut russische Raketenangriffe landesweit gemeldet. In der südukrainischen Stadt Krywyj Rih, westlich von Saporischschja, wurden laut ukrainischen Angaben 11 Menschen getötet, nachdem ein Wohngebäude getroffen wurde.

Der Kommandeur der russischen Truppen im Süden der Ukraine, General Sergej Gorja­tschow, Stabschef der 35. Armee der russischen Streitkräfte in der Ukraine, wurde derweil nach Angaben des unabhängigen russischen Mediums Meduza bei einem Raketenangriff getötet. Laut ukrainischen Militärquellen starb er am Montag im Gebiet Saporischschja. Gorjatschow leitete zuvor das russische Kontingent in Transnistrien und war Befehlshaber einer Militärbasis in Tadschikistan und eines Ausbildungszentrums in Chabarowsk gewesen.

Knebelvertrag für Paramilitärs

Angesichts der ukrainischen Vorstöße wird erneut verschärft über Konflikte und Probleme im russischen Militär spekuliert, vor allem zwischen paramilitärischen russischen Gruppen wie den Wagner-Söldnern von Jew­genij Prigoschin und den regulären Streitkräften. Prigoschin hat seine Unzufriedenheit unter anderem aufgrund mangelnder Munition wiederholt geäußert.

Am Wochenende hat nun der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu einen Erlass unterzeichnet, wonach alle privaten Militärfirmen beziehungsweise „freiwillige bewaffnete Einheiten“, die in der Ukraine kämpfen, bis zum 1. Juli Verträge mit dem russischen Verteidigungsministerium unterzeichnen, sich also formell dem Militär unterstellen. Während Prigoschin sich weigerte, hieß es von der Spezialeinheit Achmat, die als Privatarmee des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow gilt, sie habe einen Vertrag mit Schoigu unterschrieben. Das meldeten kremlnahe Quellen am Montag.

Derweil bleibt nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms vor einer Woche die Sorge um das Kühlwasser für das Atomkraftwerk (AKW) Saporischschja groß, denn Wasser aus dem Kachowka-Stausee wird zur Kühlung der Reaktoren verwendet. Der Wasserpegel des Sees fiel Ende letzter Woche unter die kritische Marke von 12,70 Meter. Daraufhin wollte die UN-Atomenergiebehörde IAEA selbst den Wasserstand messen. An diesem Dienstag reiste IAEA-Chef Rafael Grossi in die Ukraine.

Ukrainische und russische Behörden meldeten, dass 46 Siedlungen in Cherson noch immer überflutet sind. Während mit dem zurückgehenden Wasserpegel die Zahl der betroffenen Ortschaften sinkt, steigt die Zahl der Todesopfer. Die Behörden am ukrainisch kontrollierten rechten Ufer des Flusses Dnipro meldeten am Dienstag 10 Tote und 20 Verletzte, 42 Menschen würden noch vermisst. Am russisch besetzten rechten Ufer stieg die Zahl der Toten den Angaben der russischen Besatzer zufolge auf 17.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.