Besuch im Stalin-Museum in Georgien: Das Geschäft mit dem Diktator

Das Stalin-Museum im Geburtsort des Diktators erfreut sich vieler Besucher. Das Geschäft boomt. Gulags werden nur am Rande erwähnt.

Ein georgischer Kriegsveteran mit Stalin-Porträt während der „Tag des Sieges“-Feier in Tbilissi Foto: Shakh Aivazov/ap

Wollen Sie wissen, aus welcher Tasse Josef Stalin getrunken hat? Oder wollen Sie sich das Sofa anschauen, auf dem er nach einem anstrengenden Tag seine Beine ausstreckte, nachdem er seine Stiefel ausgezogen hatte? Dann müssen Sie sein Museum in Gori besuchen. In dieser georgischen Stadt mit 40.000 Einwohnern wurde 1878 der sowjetische Diktator Iosif Dschugaschwili geboren. 50 Jahre später kannte ihn die ganze Welt unter seinem Parteipseu­donym Stalin.

Die Zahl der Opfer stalinistischer Repressionen geht in die Millionen. Doch die Museumsführerin Anna hat es nicht eilig, auf dieses Thema zu sprechen zu kommen. Sie beginnt ihren Rundgang durch das Gebäude mit einem Zitat, das trotz fehlender Beweise oft Stalin zugeschrieben wird: „Ich weiß, dass nach meinem Tod ein Haufen Müll auf mein Grab gelegt werden wird. Aber der Wind der Geschichte wird ihn gnadenlos wegblasen.“

Anna führt die Gruppe langsam an den Exponaten vorbei: Fotos von Stalins Jugend, seinen Eltern und Kindern. Sie liest seine Gedichte vor und zeigt seine persönlichen Gegenstände.

Hier der Koffer, den er immer bei sich trug, dort der Pelzmantel, den ihm eine Fabrik geschenkt hat. Das Akkordeon mit seinem Namen darauf und ein Bild von ihm, wie er seinem chinesischen Kollegen Mao Tse Tung zulächelt. All diese Souvenirs seien Stalin als ein Zeichen der Liebe und des Respekts geschenkt worden, bemerkt Anna.

Kein Wort über Stalins Rolle bei den Repressionen

Insgesamt sind in dem Museum fast 60.000 Exponate ausgestellt. Sie werden seit vielen Jahren gesammelt. Jedes Jahr kommen Zehntausende Menschen aus aller Welt, um sie zu sehen. 2018 hatte das Museum über 180.000 Besucher. Das Museum bietet Führungen in Russisch, Englisch, Französisch und Deutsch an. Während Anna auf Russisch von dem Respekt gegenüber Stalin in Indien erzählt, spricht ein älterer Mann neben ihr auf Hebräisch mit seiner Gruppe.

Viele Einwohner von Gori sind immer noch stolz auf die Herkunft Stalins

Und was ist mit Repressionen und Arbeitslagern (Gulag), in denen Millionen Menschen starben? Anna erwähnt sie erst am Ende der Tour. Sie führt die Gruppe in einen kleinen Raum, in dem ein riesiger Schreibtisch steht. An solchen Tischen saßen die sogenannten Troikas – Dreiergruppen, die ohne Beteiligung von Gerichten Urteile fällten. Während des stalinistischen Terrors der 1930er Jahre verurteilten sie Millionen Menschen zu Verbannung und Erschießung.

Aber Anna sagt nichts über Stalins Rolle bei diesen Repressionen. Nach der Tour erzählt sie nur, dass sie seit drei Jahren als Museumsführerin tätig sei. Auf die Frage nach dem Grund antwortet sie: „Irgendwo muss ich ja arbeiten.“ Kein Wort über ihre Haltung zu dem Diktator – in Gori ist es nicht üblich, ihn zu kritisieren.

Viele Einwohner von Gori sind immer noch stolz auf die Herkunft Stalins. Das sechs Meter hohe Denkmal für den Diktator wurde erst 2010 aus dem Stadtzentrum entfernt und in ein vier Kilometer entferntes Dorf gebracht. Insgesamt gibt es in der Gemeinde Gori noch fünf Denkmäler für den sowjetischen Diktator.

Die Liebe zu Stalin geht weit über Gori hinaus

Souvenirs mit Stalin sind hier eine Einnahmequelle für Dutzende Familien. Sie werden überall verkauft, die Einheimischen sagen, Touristen seien ganz verrückt danach. Manche versuchen den Gästen zu zeigen, dass Gori auch aus anderen Gründen interessant ist, weil es zu den ältesten Städten Georgiens gehört. Aber solche Leute sind in der Minderheit.

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Die Liebe zu Stalin geht weit über Gori hinaus. Und diese Liebe gibt es nicht erst seit gestern. Im März 1956 demonstrierten Tausende Menschen friedlich in der Hauptstadt Tbilissi. Das war der erste Protest seit der sowjetischen Besatzung im Jahr 1921. Aber die Menschen verteidigten weder Rechte und Freiheiten noch die Unabhängigkeit, sondern Stalin. Ihm galt ihre Solidarität, weil Stalins Nachfolger Nikita Chruschtschow dessen Verbrechen verurteilt hatte.

Am 9. März 1956 eröffneten Soldaten das Feuer auf die Demonstranten. Regierungsangaben zufolge wurden über 20 Menschen getötet und mehr als 50 verletzt. Die Behörden sagten, sie hätten eine Meuterei niedergeschlagen. Ein Jahr später wurde in Gori ein Stalin-Museum eröffnet.

Nach der Unabhängigkeit 1991 entstanden in der Südkaukasusrepublik mehrere Nichtregierungsorganisationen. Ihr Ziel: Stalin bei jungen Menschen bekannt zu machen. Es gibt keine genauen Zahlen, wie der Diktator heute gesehen wird. Das letzte Mal, dass Soziologen diese Frage stellten, war im Jahr 2012. 45 Prozent der Befragten sprachen damals von einer positiven Einstellung.

Um Souvenirs zu kaufen, muss man nicht weit gehen. Ein 80-jähriger Mann, Ramaz, verkauft sie im Innenhof des Museums. Auf dem Boden auf zwei kleinen Decken liegen Magnete, Postkarten und Medaillen. Der Mindestpreis beträgt zwei Euro. Der Mann sagt, er habe lange in Russland gelebt und spreche gut Russisch. Bei englischsprachigen Touristen gleicht er seinen dürftigen Wortschatz mit Gesten aus, indem er auf verschiedene Souvenirs zu günstigen Preisen zeigt. Ramaz sagt, dass das Geschäft gut laufe, sein Einkommen aber minimal sei. Schließlich stelle er die Souvenirs nicht selbst her, sondern ein lokales Unternehmen, das den Verkäufern nur einen „gewissen Prozentsatz“ des Umsatzes überlasse.

Der Mann hat Einschränkungen – das Gehen fällt ihm schwer. Die Rente, umgerechnet 100 Euro im Monat, reicht nicht einmal für Medikamente. Dies ist einer der Gründe, warum er, wie so viele seiner Kollegen, mit Nostalgie an die Sowjetzeit zurückdenkt. „Das war sicherlich keine Demokratie“, sagt er, „aber wir haben besser gelebt.“

Der Autor ist georgischer Journalist und lebt in Tbilissi.

Aus dem Russischen von Barbara Oertel

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