Diskussion um Gewaltpräventionsambulanz: Vorsorge unter Stigmaverdacht

Nach dem Brokstedt-Attentat will Schleswig-Holstein Gewaltpräventionsambulanzen für psychisch Kranke einrichten. Der Flüchtlingsrat übt Kritik.

Ein Mann hält eine Broschüre, auf der "Präventionsambulanz" und eine Postkarte, auf der "Stopp die Gewalt in Dir" steht, in die Höhe

In Ansbach gibt es bereits eine Gewaltpräventionsambulanz, geleitet von Joachim Nitschke Foto: Timm Schamberger/dpa

HAMBURG taz | Die Pläne der schwarz-grünen Regierung in Schleswig-Holstein für eine Gewaltpräventionsambulanz stoßen nicht nur beim Flüchtlingsrat, sondern auch bei Psychologen auf Kritik. „Hintergrund des Plans ist, dass man der Ausländerbehörde den Zugriff auf Geduldete ermöglichen will“, sagt Martin Link vom schleswig-holsteinischen Flüchtlingsrat.

Und Thomas Bock, der langjährige Leiter der Spezialambulanz für Psychosen und bipolare Störungen am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), sieht in Spezialambulanzen für potenzielle Ge­walt­tä­te­r:in­nen „ein großes Risiko, zu diskriminieren“.

Der Antrag der schwarz-grünen Koalition ist im Nachgang zum Messerattentat von Brokstedt entstanden, bei dem Ibrahim A., ein geduldeter Palästinenser, zwei Menschen getötet hat. A. war von einem Gutachter während seiner Inhaftierung nach einer Messerattacke eine psychotische Störung infolge der Inhaftierung bescheinigt worden. Vor seiner Entlassung hatte es zwar eine reguläre Untersuchung gegeben, bei der weder eine Eigen- noch eine Fremdgefährdung festgestellt worden war, es gab aber kein Prognosegutachten.

Jan Kürschner, der innen- und rechtspolitische Sprecher der grünen Landtagsfraktion in Schleswig-Holstein, betont, dass nicht von allen psychisch kranken Menschen eine Gefahr ausgehen könne, sondern lediglich von Menschen, die eine Psychose haben, und davon ungefähr 3 Prozent. Zudem richte sich das Angebot an alle Erkrankten und nicht spezifisch an Geflüchtete.

Auf Geflüchtete gemünzt

Der Flüchtlingsrat sieht das anders. Für Martin Link ist der Vorstoß eindeutig auf Geflüchtete gemünzt – und geht selbst in den Teilen, die nicht auf erleichterte Abschiebung zielen, nämlich mit der Gewaltpräventions­ambulanz am Ziel vorbei.

„Die Situation ist hausgemacht“, sagt Link, „dann ist es nicht verwunderlich, dass die Menschen in Einzelfällen austicken.“ Die Situation, das ist für Link die „Technokratie der Ablehnung“ mit unklarer Bleibeperspektive, unzureichender persönlicher Betreuung und Gesundheitsversorgung.

Eine Gewaltpräventionsambulanz könne ein Mittel sein, „wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist“. Echte Prävention, so Link, hieße, eine Perspektive für geduldete Menschen in Deutschland zu entwickeln.

Kürschner wiederum verweist gegenüber der taz auf zwei Entwicklungen, auf die die Politik reagieren müsse: Zum einen steige die Zahl der Menschen im Maßregelvollzug, also der Straftäter:innen, die wegen einer psychischen Erkrankung nicht in reguläre Haftanstalten kommen. Außerdem wachse auch die Zahl der Menschen mit Psychose, die in die Psychiatrie kämen, dort aber eine Behandlung mit Medikamenten ablehnten.

Thomas Bock, ehemaliger Chef einer Spezialambulanz für Psychosen

„Wir brauchen keine Spezialambulanzen, sondern die vorhandenen müssen sorgsamer sein“

Die Kliniken, so beschreibt es Kürschner, entließen diese Pa­ti­en­t:in­nen dann unbehandelt, weil sie für eine reine Unterbringung von den Krankenkassen nicht bezahlt würden. „Und das schlimmste“, so stellt es Kürschner in seiner Rede vor dem Landtag dar: „Die forensischen Kliniken laufen voll.“

Um dem entgegenzuwirken, soll nun an vier Standorten ein Pilotprojekt nach dem Modell der Forensischen Präventionsambulanz der Klinik für forensische Psychiatrie des Bezirksklinikums Ansbach begonnen werden. Dafür sind 400.000 Euro pro Jahr veranschlagt, die bereits im Haushalt eingestellt sind. Das Projekt richtet sich an Menschen, die eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis oder eine schwere Persönlichkeitsstörung haben, verbunden mit einem hohen Risiko für künftige Gewalttaten.

Der Kontakt soll über die Betroffenen selbst laufen oder aber professionelle Be­treue­r:in­nen etwa aus der Bewährungshilfe oder Familienangehörige. Die Teilnahme ist freiwillig, zum Angebot gehören Gruppentraining, Einzelbehandlung und sozialpädagogische Beratung. Durch regelmäßigen Telefonkontakt und Hausbesuche soll ein Abbruch der Behandlung verhindert werden.

In einer Evaluation kommt der Chefarzt der Ansbacher forensischen Psychiatrie, Joachim Nitschke, zu dem Ergebnis, dass von 91 Patienten 41 die Behandlung abgebrochen haben, 22 sind umgezogen, 21 aus anderen Gründen nicht mehr dabei. Neun Patienten haben die Behandlung erfolgreich abgeschlossen – und damit Bayern laut Studie knapp eine Million Euro jährlich erspart, weil sie nicht stationär in einer forensischen Klinik untergebracht waren.

Vorbild Hamburg

In der Vorstellung des Ansbacher Projekts wird explizit auf das Hamburger Modell zur integrierten Versorgung von Psychosepatienten verwiesen. Der langjährige Chef der Spezialambulanz für Psychosen, Thomas Bock, begrüßt zwar, dass sich die Forensik für Präventionsarbeit auch jenen öffnet, die noch nicht dort Pa­ti­en­t:in waren. Doch das Modell einer zusätzlichen Gewaltpräventionsambulanz überzeugt ihn dennoch nicht.

Er schreibt der taz: „Aus meiner Sicht birgt das Thema große Risiken zu diskriminieren oder zu stigmatisieren. Wir brauchen keine Spezialambulanzen, sondern die vorhandenen Ambulanzen, zum Beispiel für Psychoseerfahrene, müssen niedrigschwelliger und sorgsamer sein.“ Das bedeutet unter anderem, dass es gelingt, eine verlässliche Beziehung zu den Pa­ti­en­t:in­nen aufzubauen.

Die Zahlen der Psy­cho­sepa­ti­en­t:in­nen in der Forensik seien lange gesunken und stiegen nun wieder an. Für Bock ist das ein deutliches Signal dafür, dass ihre Versorgung im Vorfeld unzureichend ist. Insgesamt gebe es einen Wettbewerb um die sozusagen einfacheren Patient:innen, deren Behandlung weniger aufwendig sei – auf der Strecke blieben dabei die Patient:innen, die besonders behandlungsbedürftig sind.

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