taz🐾thema
: genossenschaften

die verlagsseiten der taz

Startgeld für die große Wende

Für die Energiewende spielt das historisch gewachsene Netzwerk zwischen genossenschaftlichen Banken und neugegründeten Energiegenossenschaften eine große Rolle. Oft geben die Genossenschaftsbanken selbst die Initialzündung für Gründungen

Ohne Geld kämen neue Energiegenossenschaften nicht an den Start. Genossenschaftliche Banken haben das Know-how, zielgenau zu finanzieren. Foto: Foto:Gary Waters/ Westend61/picture alliance

Von Dierk Jensen

Es pressiert. Bis 2045 will Deutschland klimaneutral sein. Während die Uhr unerbittlich tickt, versucht die fossil-konventionelle Wirtschaft den Veränderungsdruck noch mit taktischen Spielchen abzufedern. Gleichzeitig bewegt sich aber gerade auf kommunaler und regionaler Ebene viel: Überall entstehen Initiativen, die nicht mehr auf die Energiewende warten, sondern sie vor Ort umsetzen.

Neue Gründerzeit

Dies spiegelt sich auch im Umfeld von Energiegenossenschaften wider: „In unserem Einflussbereich sind von den 18 genossenschaftlichen Neugründungen in diesem Jahr allein 14 Energiegenossenschaften“, verrät Felix Reich, Energieexperte beim Genossenschaftsverband, der 2017 aus einer Fusion des Rheinisch-Westfälischen Genossenschaftsverbandes und dem Genossenschaftsverband in Frankfurt hervorging. Felix Reich spricht von einer regelrechten „Boomphase“; dabei engagieren sich die Energiegenossenschaften bei Weitem nicht nur ausschließlich in die Erzeugung von Solar- und Windstrom oder Biogas, sondern sie investieren auch in Speichersysteme, in Wärmenetze, in CO2-freie Mobilität und zukünftig wohl auch in die Erzeugung von Wasserstoff.

Damit leisten die Energiegenossenschaften einen großen Betrag zu Energiewende, unterstreicht Insider Reich. In Zahlen ausgedrückt: Rund 3,3 Milliarden Euro investierten Energiegenossenschaften seit dem Jahr 2005 in erneuerbare Energieprojekte – vor Ort, immer dezentral, weit ab von zittrigen, auf Shareholder-Value fixierten Börsen. Die Dezentralität muss jedoch nicht heißen, dass bei einer genossenschaftlichen Beteiligung keine Rendite anfallen würde: Fünf Prozent könnten die Genossinnen im Durchschnitt für ihre Anteile schon erwarten, so Reich weiter.

Strukturell nah dran

Wie beispielhaft dezentral, unaufgeregt und eben nicht nur renditeverliebt eine Energiegenossenschaft die lokale Energiewende, in diesem Fall genauer gesagt Wärmewende, realisiert, zeigt beispielhaft bei der Energiegenossenschaft Honigsee. Weit vorausschauend hatten 37 Ge­nos­s:in­nen im kleinen Ort unweit der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel schon im Jahr 2007 ihre Energiegenossenschaft gegründet. Zweck und Ziel waren damals klar definiert: „Wir wollten das Dorf mit der Abwärme der örtlichen Biogasanlage heizen. Dafür mussten wir vier Kilometer Leitung verlegen,“ erklärt Vorsitzender Rainer Hingst. „Dafür brauchten wir 900.000 Euro Investitionssumme.“

Während das Land Schleswig-Holstein eine Investitionsförderung in Höhe von 150.000 Euro gewährte und die Ge­nos­s:in­nen selbst 300.000 Euro Eigenkapital beisteuerten, wurde die zweite Hälfte über einen Kredit bei der genossenschaftlichen Volksbank Kiel finanziert. „Die Volksbank erwies sich als angenehmer, verständnisvoller Partner“, lobt Hingst das Bankinstitut, „die kennen sich mit genossenschaftlichen Strukturen gut aus, das passt.“

Tatsächlich spielt bei vielen regionalen und lokalen Projekten gerade im Bereich der erneuerbaren Energien das historisch gewachsene Netzwerk zwischen genossenschaftlichen Banken und neugegründeten Energiegenossenschaften eine große Rolle.

Deren Verflechtung ist im ländlichen Raum noch ausgeprägter als in Städten. Dabei sind es die Genossenschaftsbanken oft selbst, die die Initialzündung für Gründungen geben. Zudem sind auch viele Ban­ke­r:in­nen im Umfeld der Genossenschaftsbanken selbst Mitglieder von Energiegenossenschaften und übernehmen vielerorts ehrenamtlich Vorstand- und Aufsichtsratsfunktionen.

Andersherum gibt die lokale Energiewende wichtige Impulse für die kleinstrukturierte Welt der Genossenschaftsbanken. „Für die Genossenschaftliche FinanzGruppe ist die Finanzierung von Erneuerbare Energien-Vorhaben von großer geschäftspolitischer Bedeutung“, räumt Steffen Steudel, Pressesprecher des Bundesverbandes der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken e. V. (BVR) mit Sitz Berlin unumwunden ein. „Im Jahr 2022 vergaben die Genossenschaftsbanken KfW-Förderkredite im Rahmen des KfW-Förderprogramms ‚Erneuerbare Energien Standard‘ im Volumen von mehr als 1,2 Milliarden Euro.“

Dezentrale Dynamik

Angesichts der bevorstehenden großen Aufgabe, den Muff der fossilen Wirtschaft in den nächsten Jahren aus den Heizkellern und unter den Autohauben gänzlich zu vertreiben, wird dieser Aufwärtstrend wahrscheinlich anhalten und damit Vereins- und Raiffeisenbanken neue Perspektiven bieten. Zumal diese Finanzinstitute für sich in Anspruch nehmen, dass sie die lokalen Besonderheiten kennen. „Sie sind keine internationalen Investoren, sondern Akteure vor Ort, welche von hier“, wie (BVR)-Pressesprecher Steudel sagt. Das sei im Vergleich zu anderen Banken ein großer Vorteil, weil die Energiegenossenschaften als Kreditnehmer vor Ort auch gerne einen regionalen Finanzierungspartner an der Seite haben wollen.

Im Zuge dessen werden oftmals auch Handwerkbetriebe vor Ort an den angeschobenen Projekten beteiligt, was am Ende regionale Wirtschaftskreisläufe stärkt. Tatsächlich gibt es in Deutschland mittlerweile rund 900 Energiegenossenschaften, die sich über das ganze Land verteilen. Beteiligt sind daran 220.000 Bür­ge­r:in­nen – eine dynamische dezentrale Bewegung von unten.