Russische Migranten kehren zurück: Angst vor Mobilmachung

Nach der Mobilmachung im September 2022 flohen Tausende Männer aus Russland. Diejenigen, die zurückkommen, versuchen jetzt nicht aufzufallen.

Junge Frauen sitzen mit ihren Smartphones im Freien in einem Cafe

Können die Rückkehrer noch so leben wie die Frauen in diesem Moskauer Café? Foto: Alexander Zemlianichenko/ap

Mein Bekannter, der Moskau im vergangenen September über Kasachstan Richtung Tbilissi verlassen hatte, gab damals seine ganzen Ersparnisse für Flugtickets aus. Immerhin ging es ihm darum, der Mobilmachung Russlands zu entfliehen. Ein halbes Jahr später kehrte er jedoch zurück. Ich habe davon nur erfahren, weil wir uns zufällig auf einer Geburtstagsfeier gemeinsamer Bekannter trafen. Auf Social Media tut er alles, damit es so aussieht, als halte er sich weiter nicht in der russischen Hauptstadt auf.

Über seinen Umzug und seine Rückkehr erzählte er, dass er Georgien liebe und den Mut der Georgier bewundere, die gegen das Ausländische-Agenten-Gesetz auf die Straße gegangen waren. Aber er könne nicht länger dort bleiben, da er in Moskau leben wolle. Als die russischen Behörden bekannt gaben, dass die Grenzen für diejenigen geschlossen würden, die eine Vorladung zur Einberufung bekommen haben, schrieb er mir, dass er einen Job in Moskau suche und zu Vorstellungsgesprächen gehe. Er war immer gegen Putins Krieg. Auch jetzt beteuert er, dass er ihn ablehne. Dennoch ist er zurückgekommen.

Ein paar Wochen später erfuhr ich, dass ein anderer Bekannter, der vor der Mobilmachung geflohen war, ebenfalls wieder in die russische Hauptstadt zurückgekehrt ist, aus dem georgischen Batumi. Er versuche, nicht groß an seine Emigration zu denken und zu leben wie in der Zeit davor, sagt er; in Bars und Cafés gehen und sich mit Freunden treffen.

Es sind Männer im wehrpflichtigen Alter, die jetzt zur „Risikogruppe“ gehören und jeden Tag einberufen werden könnten. Aber sie sagen mir auf Nachfrage, dass sie jetzt einfach „nicht darüber nachdenken“ und sich stattdessen Arbeit suchten, durch die Straßen ihrer geliebten Stadt liefen und ihre Freunde treffen wollten. Und nur leise miteinander über Politik sprächen.

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Noch im Februar 2023 hatten russische Beamte erklärt, dass 60 Prozent derer, die wegen des Krieges das Land verlassen haben, zurückkehren würden. Auch wenn bis heute darüber keine genaue Zahlen oder statistischen Erhebungen veröffentlicht wurden, ist der Trend im Sommer 2023 klar: Die Zahl der Rückkehrer aus anderen Ländern wächst – trotz des Risikos der Mobilmachung, trotz neuer repressiver Gesetze, trotz schwieriger Wirtschaftslage in Russland.

Es wäre falsch zu sagen, dass das alles schwache Menschen sind, die sich nicht bemüht hätten, anderswo klarzukommen. Sie distanzieren sich nicht von ihrer Antikriegshaltung. Aber sie sind, wie sie nun sagen, „ruhiger“ geworden. Zugleich fürchten sie Repression und Denunziation. Sie versuchen, in den großen Firmen, in denen sie arbeiten, weniger über Politik zu diskutieren, und zeigen keine pazifistischen Zeichen mehr. Auch auf ihren Social-Media-Accounts dominiert die Stille.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey.

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die Autorin arbeitet als Journalistin in Moskau. Sie war Teilnehmerin eines Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung.

Eine Illustration. Ein riesiger Stift, der in ein aufgeschlagenes Buch schreibt.

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