das wird
: „Ein Ort, an dem wir alle Gefühle erfahren“

Bei der langen Nacht des Friedhofs in Mölln gibt’s nix zu gruseln

Interview Benno Schirrmeister

taz: Pastorin Lage, was suchen Sie das Leben bei den Toten?

Hilke Lage: Weil der Friedhof aus meiner Sicht ein Ort des Lebens ist, an dem wir alle existenziellen Gefühle erfahren – natürlich Trauer, aber auch Liebe und Geborgenheit.

Und deswegen brechen Sie mit der traditionellen Sepul­kralkultur, die den Friedhof für trübsinnige Innerlichkeit reserviert?

Das sehe ich anders. Es ist ja bereits die fünfte Lange Nacht des Friedhofs, die wir veranstalten. Und der Friedhof war für unser Team schon immer ein Ort der Begegnung. Dieser Charakter ist während der Coronapandemie dann noch einmal besonders deutlich geworden. In dieser Zeit, wo fast alles sonst verboten war, konnte man hier miteinander sprechen, sich unterhalten. Es ist auch nicht verboten, auf dem Friedhof zu lachen.

Während andere trauern?

Foto: Guido Kollmeier

Hilke Lage

51, Theologin, ist seit 18 Jahren Pastorin der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Mölln.

Natürlich ist es ein Ort der Trauer. Aber für mich als Christin ist es auch ein Ort der Hoffnung und der Vorfreude auf ein Leben in Gott und vielleicht ein Wiedersehen.

Trotzdem wäre so eine Veranstaltung vor 100 Jahren undenkbar gewesen …

Es stimmt, wir begegnen heute dem Tod auf andere Art: Er ist damals viel deutlicher als Teil des Lebens empfunden worden, es war selbstverständlich, dass man seine eigenen Toten selbst gewaschen und die der Nachbarn besucht und nach dem Begräbnis einen Leichenschmaus ausgerichtet hat. Diese Rituale verschwinden. Es gibt immer häufiger Beisetzungen ganz ohne Trauerveranstaltung. Dadurch geht etwas verloren.

Und die Lücke füllt ein Kulturprogramm – oder ist die Lange Nacht eine kultische?

Mit Rotwein am Grab, Lange Nacht des Friedhofs, Alter Friedhof Mölln, Hindenburgstraße, Freitag, 7. 7., ab 20 Uhr

Doch, es ist eine kulturelle Veranstaltung. Es tritt ein Liedermacher auf, ein Gospelchor, eine Theatergruppe und der Stadtarchivar verschafft uns Einblicke in den Alltag einer Kaufmannsfamilie, die hier begraben ist. Es gibt aber auch geistliche Elemente: Man kann an einem Gebet zur Nacht teilnehmen und sich segnen lassen.

Literarisch dienen Friedhöfe als Kulisse für Grusel: Haben Sie da auch was im Angebot?

Nein, darauf haben wir bewusst verzichtet. Bei der Langen Nacht hat das keinen Platz. Hier geht es ja darum, den Friedhof als einen Ort des Lebens ins Bewusstsein zu rücken.