Flüchtlinge aus der Ukraine: Bezirke mauern bei der Unterbringung

In Berlin fehlt es weiter an Unterkünften für Geflüchtete. Eine dezentrale Unterbringung scheiterte bislang an den Bezirken. Das hat Folgen.

Eltern bereiten einen Snack für ihre Kinder vor im Ankunftszentrum Ukraine in Tegel

Zwischenmahlzeit im Ankunftszentrum: Eine Familie aus der Ukraine im Mai in Tegel Foto: Michele Tantussi

BERLIN taz | Trotz gestiegener Kapazitäten fehlen Flüchtlingsunterkünfte in Berlin. Und der Mangel ist hausgemacht. Denn von den 12.000 Plätzen, die laut Senatsbeschluss von 2018 in hochwertigen Flüchtlingsunterkünften, den sogenannten MUFs, geschaffen werden sollten, sind bis heute lediglich 9.700 entstanden. Für den Bau dieser MUFs hatte die damalige Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) die Bezirke verpflichtet, Grundstücke bereitzustellen.

Der grüne Abgeordnete Jian Omar bilanziert nun ernüchtert: „Hätten wir tatsächlich den Bau der MUFs mit 12.000 Plätzen priorisiert, könnten wir in Berlin heute auf Massenunterkünfte wie in den früheren Flughäfen Tegel und Tempelhof verzichten und die Geflüchteten dezentral unterbringen.“

Omars Meinung nach ist das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten LAF, das gerade seine kommissarische Präsidentin verloren hat und auch sonst personelle Engpässe hat, damit überfordert, gleichzeitig die Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten zu organisieren und neue Objekte zu akquirieren.

Das LAF verfügt – die Ankunftszentren im Flughafen Tegel sowie auf dem Klinikgelände in Reinickendorf ausgenommen – über 31.600 Plätze in Erstaufnahme-, Gemeinschafts- und Notunterkünften. Das sind 10.000 Plätze mehr als vor Beginn des Ukrainekrieges. Diese Plätze sind nach Angaben des LAF zu 98 Prozent belegt. Eine 100-prozentige Belegung ist nicht möglich, weil zwischen Abreise eines alten Bewohners und Ankunft des neuen Zeit für Reinigung und eventuell auch Renovierungsarbeiten benötigt wird.

40 Prozent sind anerkannt

Rund 40 Prozent der BewohnerInnen von Flüchtlingsunterkünften sind allerdings weder AsylbewerberInnen noch UkrainerInnen, sondern anerkannte Asylberechtigte und Menschen mit einem Duldungsstatus. Sie dürften eine Wohnung beziehen, finden aber keine auf dem angespannten Berliner Wohnungsmarkt. Die Bezirke, die eigentlich für ihre Unterbringung zuständig wären, haben nicht genug bezirkseigene Gemeinschaftsunterkünfte und unternehmen zu wenig, um diesen Menschen eine Wohnung oder angemessene Unterkunft zu vermitteln.

Das LAF bereitet nach Angaben seiner Sprecherin Monika Hebbinghaus gerade weitere Objekte als Flüchtlingsunterkünfte vor. „Viele sind in der Umsetzungsphase, andere in Verhandlung oder Prüfung“, sagt sie der taz.

Zusätzlich zu den regulären Asylunterkünften betreibt das LAF das wegen seiner schlechten Bedingungen stark kritisierte Ukraine-Ankunftszentrum im früheren Flughafen Tegel mit 4.500 Plätzen in Zelten oder engen Schlafkabinen ohne Privatsphäre. Davon sind derzeit 2.500 Plätze belegt. Weil Plätze in regulären Unterkünften fehlen, müssen die BewohnerInnen dort derzeit mehrere Monate ausharren. Das wird wegen der miesen Verhältnisse dort vom Flüchtlingsrat heftig kritisiert. Im ebenfalls zusätzlichen Ankunftszentrum für Asylbewerber in Reinickendorf, wo Geflüchtete während der Registrierungsphase nur wenige Tage lang wohnen, sind aktuell 800 von 1.300 Plätzen besetzt.

Manfred Nowak von der Arbeiterwohlfahrt, die in Berlin mehrere Asylheime betreibt, spricht gegenüber der taz von einem Druck des LAF auf Betreiber, die Belegung in vorhandenen Heimen zu verdichten. „Wir lehnen das im Interesse unserer Bewohner ab. Denn dazu müssten wir Räume belegen, in denen Kinder spielen können oder andere Angebote für die beengt wohnenden Menschen stattfinden.“

Teile des ehemaligen Flughafens Tegel sollen bis maximal Ende 2024 als Quartier für Flüchtlinge dienen. Danach sollen an dem Ort die Vorbereitungen für eine Nachnutzung im Zuge eines geplanten neuen Stadtquartiers beginnen. Darauf verständigte sich der Senat am Dienstag.

Konkret soll die Nutzung des Ankunftszen­trums für Geflüchtete aus der Ukraine im Terminal C bis mindestens Ende Juni 2024 vorbereitet werden. Eine letztmalige Verlängerungsoption soll dann bis 31. Dezember 2024 bestehen. Auch die Nutzung der Notunterkünfte in den Leichtbauhallen auf angrenzenden Flächen wurde verlängert.

Auf dem Gelände soll die Urban Tech Republic entstehen. Dabei handelt es sich um einen neuen Stadtteil mit Forschungs- und Industriestandorten und einem Wohnquartier. Die Nutzung des früheren Flughafens für Geflüchtete verzögert die Planungen für das Projekt. (dpa)

Bessere Bedingungen in den MUFs

Weit besser sind die Wohnbedingungen in den MUFs. Hier verfügen Familien über eigene Sanitärräume und Küchen. Doch nicht jeder Bezirk hat dafür zwei Grundstücke zur Verfügung gestellt, obwohl sie von der damaligen Sozialsenatorin Breitenbach dazu verpflichtet wurden. Grund ist, dass sich an vielen Orten in Berlin die Bezirke gegen den Bau sperrten oder aber die Grundstückseigner die Grundstücke nicht freigeben. Ex-Senatorin Breitenbach sagt der taz, dass man da schon weiter sein könnte, wenn sich die Bezirke nicht gesperrt hätten.

Beispiel ist ein Parkhaus in der Triftstraße in Mitte. Laut Aussagen des grünen Abgeordneten Jian Omar benötigt die Technikhochschule, der das Grundstück gehört, dieses noch, solange sie nicht im Flughafengebäude in Tegel ihren Campus einrichten kann. Dorthin kann sie aber nicht ziehen, weil dort die Ukraine-Flüchtlinge wohnen. Omar: „Ich befürchte zudem, dass der Bezirk Mitte die Verzögerung nutzt, um das MUF kleiner zu bauen, als vom Senat mit dem Bezirk vereinbart ist.“ Eigentlich sollen dort 300 Personen wohnen.

Ein weiteres Beispiel ist das Grundstück direkt neben der taz in der Friedrichstraße in Kreuzberg. Hier wollte der Senat auch eine MUF errichten. Doch nach Aussagen des LAF sieht der aktuelle Planungsstand des Bezirks nur noch eine „komplexe Mischnutzung“ vor, die „abstimmungsintensiv ist“. Mit anderen Worten: Dort sollen zwar Flüchtlinge einziehen, aber nur wenige, und es sind weitere Nutzungen geplant. Die Planung zieht sich dadurch in die Länge.

Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) will Bezirke finanziell belohnen, die besonders viele Geflüchtete unterbringen. Das seien derzeit die Bezirke Marzahn-Hellersdorf, Pankow und Lichtenberg. Den Vorschlag der Grünen, Hotels und Hostels zu nutzen, lehnt Wegner ab und setzt stattdessen weiterhin auf Großunterkünfte.

Streit um Standards

Laut Martina Mauer vom Flüchtlingsrat haben die Einhaltung von Qualitätsstandards in den Unterkünften und das Ziel, Flüchtlinge bei der Wohnungssuche zu unterstützen, beim LAF überhaupt keine Priorität mehr. Einziges Motto sei die Vermeidung von Obdachlosigkeit, sagt sie der taz.

Das will Monika ­Hebbinghaus vom LAF so nicht stehen lassen. „Selbstverständlich hat die Errichtung qualitätsgesicherter Unterkünfte nach wie vor hohe Priorität“, sagt sie. „Gerade weil wir unseren Anspruch an eine vernünftige Qualität hochhalten, sind neue Gebäude eben nicht ad hoc bezugsfertig.“ Daraus folge, dass Menschen in den Ankunftszentren länger auf einen Platz in einer anderen Unterkunft warten müssten.

Unter den Geflüchteten aus der Ukraine sind viele besonders schützenswerte Personen wie allein reisende Mütter, Schwangere und Wöchnerinnen, Menschen mit Behinderung sowie SeniorInnen mit Pflegebedarf. Das ist eine neue Erfahrung für das LAF, denn aus vielen anderen Regionen schaffen es Menschen mit solchen körperlichen Einschränkungen nicht, unter den widrigen Fluchtbedingungen, bis nach Berlin zu kommen. Die Unterbringung und Versorgung dieser Menschen sei „aktuell nicht einfach zu lösen“, räumt der Senat auf Grünen-Anfrage ein. Nicht wenige werden im Ukraine-Ankunftszentrum in enge Schlafkabinen ohne Privatsphäre gepfercht.

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