Von der Schuld der Mettwurst

PROZESS Angriff auf 81-jährigen Unparteiischen wird vor dem Amtsgericht St. Georg verhandelt

Der NDR ist da, die „Bild“ hat berichtet. Und alles wegen dieses Schlages, den leider keiner gesehen hat

Es waren die Mettwurstbrötchen, sagt Jens F., die ihn da reingeritten hätten. Die Mettwurstbrötchen gibt es immer nach Spielen der Seniorenmannschaft des SC Wacker-Vorwärts 1904, und gelagert werden sie auf einem ziemlich hohen Fenstersims in der Mannschaftskabine. Nach jenem Fußballspiel im November 2007 hatte der 53-jährige Jens F. Hunger. Doch als F. sich nach den Brötchen reckte, da verspürte der neben ihm stehende Schiedsrichter Otto K., 81, plötzlich einen Schlag in die Magengrube. Jens F., so sagt Otto K., habe ihm im Vorbeigehen den Ellbogen in den Bauch gerammt. Jens F. sagt, gar nichts sei passiert.

Es ist einer dieser schwer durchschaubaren Fälle, in denen Aussage gegen Aussage steht. Gewiss ist nur das: Die Situation hatte sich schon während der Partie zwischen den Senioren des SC Wacker-Vorwärts und des SV Billstedt-Horn aggressiv aufgeladen. Otto K. hatte Jens F. in der 48. Minute mit Gelb-Rot vom Platz gestellt. Dieser, sagt er, habe ihn darauf mit „Arschloch“ betitelt. Jens F. sagt dagegen, so etwas sei ihm noch nie über die Lippen gekommen, er habe lediglich „Arsch“ gesagt.

Nun, zwei Jahre später, wird die Sache vor dem Amtsgericht St. Georg verhandelt. Jens F. ist wegen Beleidigung und Körperverletzung angeklagt. Otto K., das Opfer, ist mittlerweile 83 Jahre alt, noch immer rüstig, mit gefärbtem Haar. Er lächelt in die Kameras. Der NDR ist da, sogar die Bild hat schon berichtet. Und alles wegen dieses Schlages, den leider keiner gesehen hat.

So bleibt auch heute unklar, was nach dem Spiel in der Kabine geschah. Otto K. sagt, Jens F. sei „rasend“ gewesen. Er spricht von einem schweren Schlag, versichert, er habe sich vor Schmerzen gewunden, und verlangt nach befreundeten Zeugen.

Jens F. lobt die Mettwurstbrötchen, nur nach ihnen habe er gegriffen. Für ihn ist die Sache klar: Vor Jahren habe er Otto K. aus seinem Kiosk geworfen, weil der illegal mit zollfreien Zigaretten handeln wollte. Nun wolle der Rentner späte Rache nehmen.

Der Richter beeilt sich, die Sache zu beenden: Die Verhandlung wird eingestellt, wenn Jens F. dem Geschädigten 600 Euro zahlt. Und Otto K. erhebt sich zu einer großen Geste: Das Geld werde er krebskranken Kindern spenden. CARINA BRAUN