Türkei-Besuch von Selenski: Paukenschlag in Istanbul

Der türkische Präsident stellt der Ukraine überraschend einen Nato-Beitritt in Aussicht – aber erst nach dem Krieg. Schweden lässt er weiter zappeln.

Der türkische und der ukranische Präsident vor Flaggen.

Verlängern sie das Getreideabkommen? Die Präsidenten der Türkei und der Ukraine Foto: ap

ISTANBUL taz | Der Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski in Istanbul endete am späten Freitagabend mit einem Paukenschlag. Zur Überraschung des anwesenden Publikums und politischer Beobachter weltweit erklärte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf der abschließenden Pressekonferenz, nach seiner Meinung habe es die „Ukraine ganz klar verdient, nach dem Krieg Nato-Mitglied zu werden“. Er erwarte von der Regierung in Kyjiw aber auch, dass sie schnell wieder zu ­Friedensverhandlungen mit Russland bereitstehe.

Erdoğans Ankündigung überraschte umso mehr, als Ankara einen Beitritt Stockholms zur Nato nach wie vor blockiert. Um hier dennoch weiterzukommen, soll am Montag, noch vor dem tags darauf beginnenden Nato-Gipfel in Vilnius, ein Spitzengespräch zwischen Erdoğan und Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristersson stattfinden.

Selenski, dessen wichtigstes Anliegen beim Nato-Spitzentreffen eine Einladung ins Militärbündnis ist, strahlte über beide Ohren, als der türkische Präsident sein Statement abgab. Gerade von Erdoğan war eine solch klare Positionierung nicht erwartet worden; gilt er innerhalb der Allianz doch neben Ungarns Viktor Orbán als größter Putin-Versteher. Kremlsprecher Dmitri Peskow hatte vor dem Treffen der beiden Staatschefs gesagt, dass Russland es genau verfolge.

Kreml: Ankara wurde unter Druck gesetzt

Während der Kreml sich zu Erdoğans Nato-Aussage bedeckt hielt, war die Empörung über ein weiteres türkisches Zugeständnis gegenüber der Ukraine umso größer. Als Trophäe bekam Selenski von Erdoğan drei Kommandeure des berühmt-berüchtigten Asow-Regiments aus Mariupol übergeben, die eigentlich bis zum Ende des Krieges in der Türkei hätten bleiben sollen. Bei einem früheren Gefangenenaustausch zwischen Kyjiw und Moskau, bei dem die Türkei als Vermittler mitgewirkt hatte, hatte Russland eine Reihe festgehaltener Asow-Gefangener mit der Maßgabe ausgetauscht, dass diese Männer bis Kriegsende in der Türkei in Gewahrsam bleiben.

Peskow sprach denn auch von einem Bruch einer ganz klaren Vereinbarung, der sich negativ auf zukünftige Verhandlungen über den Austausch von Gefangenen auswirken könnte. Allzu hart wollte er Erdoğan aber nicht angehen, sondern spekulierte lieber darüber, dass der türkische Präsident im Vorfeld des litauischen Gipfeltreffens von den übrigen Nato-Staaten wohl massiv unter Druck gesetzt worden sei.

Eigentliches Hauptgesprächsthema zwischen Erdoğan und Selenski war die Verlängerung des sogenannten Getreideabkommens zwischen der Ukraine und Russland. Auf dessen Grundlage dürfen Schiffe auf einer festgelegten Linie im Schwarzen Meer Getreide und andere Agrarprodukte aus ukrainischen Häfen ausführen – ohne von russischen Kriegsschiffen angegriffen oder aufgehalten zu werden.

Das Abkommen läuft nach jetzigem Stand am 17. Juli aus. Russland droht seit Wochen damit, die vor knapp einem Jahr beschlossene Vereinbarung nicht zu verlängern, weil die Zusagen gegenüber Moskau nicht eingehalten würden. Der türkische Präsident setzt sich gemeinsam mit den Vereinten Nationen dafür ein, dass es verlängert wird. Dazu soll es in Kürze auch ein Treffen Erdoğans mit Russlands Präsident Wladimir Putin geben.

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