Europawahl, Getreideabkommen und Pflege: Falsches Gebrüll

Die Aktivistin Carola Rackete will den Job wechseln und in die Politik. In Berlin kommt die Einsicht: Die Suche nach einer Löwin war vergeblich.

Flüchtlingshelferin Carola Rackete

Carola Rackete, Spit­zen­kan­di­da­tin der Linken zur Europawahl 2024 Foto: Christian Spicker/imago

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Spanien auf der Wetterkarte glutrot.

Und was wird besser in dieser?

Wenigstens da.

Eine vermeintliche Löwin bricht in der Nacht zum Donnerstag aus und hält die Welt in Atem. Die Polizei rückt aus, um sie zu suchen. Der erste Klimaflüchtling?

Das wäre gut gebrüllt, Löwe. Das allergene Ambrosiakraut und die chinesische Wollhandkrabbe sind schon da, dafür macht sich die heimische Buche hinter die Fichte. Die EU-Liste der „unerwünschten Spezies“ führt bereits 88 Tiere und Pflanzen, und das, bevor die AfD noch mal drübergeschaut hat. Für diesmal war’s nur die invasive Art des Mikro-Poppschutzes, elf Senderlogos sprangen dem Kleinmachnower Bürgermeister ins Gesicht. Nachdem die Medien gehaust hatten, hatten wir die Wildsau, bleibt sein bis in weite Ferne leuchtender Merksatz stehen: „Wir haben viel zu spät das Video gemeinsam ausgewertet.“ The Lion sleeps tonight.

Carola Rackete, bekannt geworden als Kapitänin und Flüchtlingshelferin, kandidiert bei der Europawahl 2024 für die Linke. Eine Neuorientierung für die Partei?

Der Doppelwumms! Racketes Kandidatur ist die nette Art, Wagenknecht und den ihren ein herzliches „Dann geh doch nach drüben“ nachzurufen. Zur anderen Seite, nachdem die Ampelgrünen die EU-Asylreform abgenickt haben, geben die Linken nun ehedem grünen Idealen Asyl. Neben Rackete steht der Sozialmediziner Gerhardt Trabert, und wenn die Welt von oben nach unten gerechter werden könnte, wäre das auf einmal eine ziemlich geile Partei. Vielleicht ist es ein Start-up im marode gewordenen Mutterkonzern, die Idee hatte Christian Lindner schon mal – nicht zu Ende gedacht. Vielleicht folgen zivilgesellschaftliche Bewegungen den beiden Signalfiguren. Den Rest holt irgendwann der Klabautermann.

Der Kreml stoppt das Getreideabkommen mit der Ukraine. Ist Russland bald für eine internationale Nahrungsmittelkrise verantwortlich?

Man kann sich noch mal auf der Hirnrinde zergehen lassen, wie die deutsche Außenministerin circa monatlich bekannt gibt, mit dem Russen gebe es nichts zu verhandeln. Während circa monatlich mit dem Russen verhandelt wird. Die Getreide- und Gefangenenaustausch-Abkommen, die statt ihrer Menschenrechtsaktivist Erdoğan makelte, bargen Hoffnung. Sowohl was die Nahrungsmittelnot angeht, wie auch die Not im Krieg, ist das russische Njet ein morbider Erfolg der Siegfrieden-Jünger. Auf beiden Seiten.

Laut einer Umfrage sind die meisten Deutschen dafür, an Kinder gerichtete Werbung für ungesundes Essen einzuschränken. Auch die Bundesregierung möchte das einschränken. Eigentlich logisch, doch Rechte regen sich auf. Warum?

Jedes deutsche Kind sieht im Schnitt täglich 15 Werbespots für Ungesundes. Talk-Auftritte von Alice Weidel nicht mitgerechnet. Die AfD vertritt einen Sack voller Verbote: Zuwanderung, Gendersprache, Rundfunkgebühren, schlechtes Wetter. Unterm Strich sind Rechte gegen Verbote, die sie nicht selbst fordern.

Pflegeplätze werden immer teurer. Können wir es uns leisten, alt zu werden?

Die Pflegeversicherung scheiterte 1995 fast am Unwillen der Arbeitgeber. Schließlich wurde ein Feiertag geopfert. Das reicht nur, um die eigentlichen Pflegekosten abzudecken. Unterbringung und Ernährung zahlen die zu Pflegenden allein. Die große Lösung wäre also eine Vollversicherung, die das Gesamtrisiko abdeckt. Die Lobby der Arbeitgeber wird sich sofort schwer pflegebedürftig und strebendkrank hinlegen. Na ja, die können das bezahlen.

Wäre am Sonntag Bundestagswahl gewesen, hätten nur 13 Prozent der Befragten die Grünen gewählt. Andererseits geben 74 Prozent der Deutschen an, um Wasserknappheit besorgt zu sein. Überrascht Sie der Widerspruch?

Viele BürgerInnen denken: „Wieso Klimawandel? Ich hab doch die Grünen gewählt!“ Ein Ablasshandel, der danebenging. Die Grünen als Convenience-Produkt funktionieren nicht, das Thema ist mit einem Kreuzchen auf dem Wahlzettel nicht wegdelegiert. Die Politik bauscht gern Themen auf, weil sie polarisieren oder schlicht lösbar sind. In diesem Fall dagegen Fluch der guten Tat: Vor allem die Grünen haben mit dem Klima ein Thema gesetzt, das sie nach menschlichem Ermessen weder bald noch allein werden lösen können. Die Umfragewerte sind also Ohrfeigen der Ehre.

Der Deutschlandtrend zeigt, dass 47 Prozent der Befragten kein Interesse an der Fußball-WM haben. Im Auftaktspiel gegen Norwegen gelingt den Neuseeländerinnen der erste Sieg jeher. Haben Sie zugesehen?

Ich nehme Anstoß an den Anstoßzeiten. Aber heute Vormittag 10.30 Uhr klingt zivil.

Und was machen die Borussen?

Nachdem Marco Reus die Kapitänsbinde abgegeben hat, werden viele seine pointierten Seitenlinien-Statements vermissen. Er nicht.

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Jahrgang: gut. Deutscher Journalist, Autor und Fernsehproduzent. Seit 2003 schreibt Friedrich Küppersbusch die wöchentliche Interview-Kolumne der taz „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?".

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