Berichterstattung über Till Lindemann: Wehret der Einschüchterung!

Erstmals hat ein Gericht die Berichterstattung über die Vorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann beanstandet. Der Beschluss ist alarmierend.

Eine Person hält bei einer Demonstration ein Schild hoch.

Protest vor den Rammstein-Konzerten in München Foto: Sven Hoppe/dpa

Die mediale Berichterstattung über die Vorwürfe gegen den Sänger der Band Rammstein, Till Lindemann, beschäftigt derzeit die Gerichte.

Zumindest eines lässt sich vorab schon mal einwandfrei feststellen: Differenziert die Presse nicht hinreichend zwischen der Band Rammstein – einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts – und deren Mitglied Till Lindemann, mahnen wahlweise eine Hamburger oder eine Berliner Anwaltskanzlei die jeweiligen Publikationen ab. So weit, so okay.

Doch der erste gerichtliche Beschluss in dieser Causa ist ein Skandal und würde eindeutig eine Beschneidung der Pressefreiheit bedeuten. Und er ist in seinen Begründungen stark widersprüchlich. Der noch nicht rechtskräftige Beschluss des Landgerichts Hamburg untersagt dem Spiegel Passagen seiner Berichterstattung.

Und zwar die, in der über die von Zeuginnen geäußerte Vermutung (vom Gericht „Verdacht“ genannt) berichtet wird, dass jungen Frauen, die für die sogenannte Row Zero – die erste Reihe der Zuschauer bei Konzerten – sowie für Pre-, After- und After-after-Partys gecastet wurden, Drogen verabreicht wurden, um sie sexuell gefügig zu machen. Der Spiegel darf auch nicht schreiben, dass „intern dieser Gang von der Aftershow-Party zur After-Aftershow-Party die „Schlampenparade“ genannt werde. Die Frauen, die nicht ausgewählt wurden, blieben danach auf der regulären Party und könnten von Mitarbeitern der Crew angemacht werden, „Resteficken“ heiße das intern.“

Dem Landgericht fehlt in seiner Begründung die Überzeugung, dass diese Formulierungen – also „Schlampenparade“ und „Resteficken“ – allgemeiner Sprachgebrauch innerhalb des Milieus der Band Rammstein war. Die Kammer sieht diese Darstellung als ehrverletzend für Lindemann an. Und das, obwohl der Frontsänger die Passage, in der beschrieben wird, dass es bei seinen Konzerten eine „Suck Box“ gibt, in welcher er sich regelmäßig einen „Blow­job“ hat verpassen lassen, nicht bestritten hat.

Das Landgericht musste abwägen, ob Sexualkontakte von Lindemann zu dessen – geschützter – Intimsphäre gehören oder ob darüber berichtet werden darf. Als „beruflichen sexuellen Kontakt“ hat das Landgericht ausdrücklich einen Porno bewertet, an dem Lindemann teilgenommen haben soll. Der „beruflich sexuelle Kontakt“ ist kein Anlass, den Schutz der Intimsphäre von Lindemann aufzuheben.

Anders bewertete die Kammer aber den Umstand, dass Lindemann „Teile seines Sexuallebens in die Öffentlichkeit getragen und diese sogar an einem tatsächlich stattgefundenen Geschlechtsakt hat teilhaben lassen, indem er auf einem Konzert ein Video hat einblenden lassen, das zeigt, wie er in einer unter der Bühne eigens dafür installierten Vorrichtung Sex mit Besucherinnen seines Konzerts hat.“

Dieser Umstand erlaubt dem Spiegel auch, detaillierte Einzelheiten eines nicht bestrittenen Sexualkontaktes zu offenbaren.

Nicht erst im Fall Lindemann verbietet das Landgericht Hamburg aber faktisch jede Berichterstattung in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen, indem es wägt: „Würde man davon ausgehen, dass immer dann, wenn es […] nur eine Zeugin geben kann, der erforderliche Mindestbestand an Beweistatsachen nicht vorliegt, würde dies dazu führen, dass über einen möglichen Vorfall wie den vorliegenden nie berichtet werden dürfte. Dies mag das zutreffende Ergebnis sein, wenn es neben der Aussage einer Person keine weiteren Anhaltspunkte bzw. Indizien gibt, die für den Wahrheitsgehalt des Verdachts sprechen […].“

Im Falle des Spiegels sieht das Gericht weitere Indizien und beanstandet die Berichterstattung in dem Punkt, wo Aussage gegen Aussage steht (sehr detaillierte Einzelheiten eines Sexualkontakts mit Schilderung des Opfers über „Facefucking“, hartes Drücken des Kopfes etc.) nicht.

Trotzdem: Der Beschluss des Landgerichts Hamburg verletzt die Berichterstattungsfreiheit des Spiegels. Der von dem Gericht angelegte Maßstab missachtet eklatant das Grundrecht aus Artikel 5 Grundgesetz und die Maßstäbe der Grundsätze der Verdachtsberichterstattung. Diese ist grundsätzlich zulässig, wenn nicht feststeht, ob der Vorwurf wahr ist.

Das Landgericht Hamburg aber umgeht diesen Grundsatz, indem es die Anforderungen an den „Mindestbestand an Beweistatsachen“ überdehnt. Dabei ist es durchaus möglich, diesen Mindestbestand auch bei einer Konstellation, in der Aussage gegen Aussage steht, als gegeben anzusehen. Und zwar dann, wenn die Bekundungen des Opfers glaubwürdig sind.

Was aber sind die Kriterien, nach denen der Journalismus ein Opfer als glaubwürdig erachten kann? Zunächst einmal journalistische Sorgfalt. Der journalistische Sorgfaltsmaßstab ist das, was ein Journalist unter den Produktionsbedingungen leisten kann, und nicht das, was ein Landgericht in Dreierbesetzung nach wochenlangen Deliberationen und wechselseitigem Vortrag der Parteien an Hirnwindungen ausstößt.

Diese Art der verwinkelten und verstiegenen Rechtsprechung führt zur inneren Zensur unter Journalisten, die derartige Themen bearbeiten und solche Erwägungen schlechterdings nicht vorhersehen können.

Bei der Entscheidung des Hamburger Gerichts handelt es sich um eine Verschiebung der Rechtsprechung. Und zwar eine zum Nachteil des Berichtsinteresses der Medien. Diese Situation ist bei den Hamburger Gerichten endemisch, also üblich.

Dass der Spiegel sich dagegen wehrt, ist zu begrüßen. Er kämpft damit gegen die richterliche Einschränkung der Presse durch Einschüchterung und überdehnte Anforderungen an die „pressemäßige Sorgfalt“.

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Johannes Eisenberg ist Strafverteidiger und Anwalt für Presserecht. Er vertritt die taz in presserechtlichen Fragen.

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