Uni Hamburg knickt Kriminologie-Studium: Kritische Polizei-Forschung am Ende

Lange konnte man in Hamburg Kriminologie als kritische Sozialwissenschaft studieren. Nun wird der deutschlandweit einzigartige Studiengang abgeschafft.

Polizisten begleiten die Kundgebung "Gemeinsam gegen rassistische Polizeigewalt!" im August 2020

Was die Polizei tut bewegt die Gesellschaft: Demo gegen Polizeigewalt im August 2020 in Hamburg Foto: dpa | Axel Heimken

HAMBURG taz | Nun ist die endgültige Entscheidung gefallen: Der renommierte Masterstudiengang Internationale Kriminologie, der seit Mitte der 1980er-Jahre an der Universität Hamburg bestand, wird abgeschafft. Nach einem längeren Prozess in der Universität erteilte der Fakultätsrat als oberste Instanz Mitte Juli seine Zustimmung. Ein Gegenantrag zur Bildung einer Arbeitsgruppe, die Möglichkeiten evaluieren sollte, den Studiengang zu erhalten, wurde abgelehnt.

Racial Profiling, Polizeigewalt oder auch geschlechterspezifische Kriminalität sind einige der gesellschaftlichen Probleme, die im Rahmen des Kriminologie-Masters behandelt werden. Der Studiengang richtet unter anderem einen Fokus auf die kritische Erforschung von Sicherheitsbehörden.

Gerade diese Perspektive wird aktuell eigentlich dringend benötigt: Erst vor wenigen Monaten hat die Stadt Hamburg beschlossen, die Aufklärung zum hier erfolgten NSU-Mord nicht im Rahmen eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, sondern wissenschaftlich betreiben zu lassen. Dass jetzt ausgerechnet die Kriminologie als Fachbereich mit der hierfür erforderlichen Expertise abgebaut wird, passt dazu nicht.

Im vergangenen Wintersemester wurden ein letztes Mal Be­wer­be­r*in­nen für den Studiengang zugelassen, pro Jahrgang werden nur 30 Personen angenommen. Bis spätestens 2028 müssen die letzten Studierenden ihren Master abschließen, dann wird die Universität das Lehrangebot einstellen. Die wenigen übrig bleibenden Stellen werden dem Fachbereich ­Soziologie angegliedert.

Studierende betrachten die Auflösung als bitteren Auswuchs der Kürzungspolitik der Universität

Der Entscheidung geht ein breiter Protest voraus: Im vergangenen Jahr veröffentlichte das von Wis­sen­schaft­le­r*in­nen betriebene Internetportal Criminologia.de eine Stellungnahme der kriminologischen Fachöffentlichkeit zur drohenden Abschaffung des Masters, die von 362 Menschen unterzeichnet wurde.

Auch international ist der Studiengang renommiert: Er ist einer von nur zehn der rund 170 Studiengänge an der Universität Hamburg, die das Gütesiegel einer Akkreditierung haben und damit auch im Ausland vollständig anerkannt werden. Die Qualität des Studiengangs wurde dafür von einer externen Agentur nach internationalen Standards überprüft und bestätigt.

Der Kriminologe Nils Zuraws­ki, der seit 2003 immer wieder am Hamburger Institut gelehrt und geforscht hat und zu den In­itia­to­r*in­nen der Unterschriftenaktion gegen die Abschaffung gehört, zeigt sich bestürzt: „Persönlich finde ich es eine wissenschaftliche Katastrophe, dass der Master abgeschafft wird“, sagt er auf taz-Nachfrage. Es gäbe zwar ähnliche Studiengänge in Regensburg und Bochum, die aber bei rechtswissenschaftlichen Fakultäten angesiedelt seien.

Das sei in Hamburg anders, deshalb sei es tragisch, dass die Kriminologie künftig nicht mehr durch einen Studiengang auch als Zweig sozialwissenschaftlicher Forschung sichtbar sei: „Es wird weiterhin Personen in Deutschland geben, die Kriminologie, kritische Kriminologie und die dort vertretenen Themen bearbeiten werden, aber eben nicht sichtbar verbunden mit einem dezidierten Studiengang“, sagt Zurawski.

Studierende des Masters betrachten die Auflösung als bitteren Auswuchs der Kürzungspolitik der Universität. Jasper Janssen und Maria Seeligmüller gehören zu einer Gruppe von Studierenden, die deshalb die Initiative „Care4criminology“ ins Leben gerufen haben. Die Initiative hat in den vergangenen zwei Jahren Öffentlichkeitsarbeit über Twitter und einen eigenen Blog zur Auflösung des Studiengangs betrieben und auch innerhalb universitärer Gremien dagegen protestiert.

Aus der Sicht von Janssen und Seeligmüller sind es drei Faktoren, die dazu führten, dass „Care4criminology“ am Ende keinen Erfolg hatte: Zum einen habe der Protest überwiegend bei den Studierenden gelegen. Von Seiten der Pro­fes­so­r*in­nen habe es zwar Bemühungen gegeben, den Wert des Studiengangs universitätsintern beispielsweise durch die Anwerbung von Drittmittelprojekten aufzuzeigen. Sie hätten sich jedoch nicht öffentlichkeitswirksam für einen Erhalt eingesetzt. Dass die Pro­fes­so­r*in­nen sogar selbst die Auflösung beantragten, ist für Janssen und Seeligmüller unverständlich: „Wir nehmen da auch viel Irritation aus der Fachwelt wahr.“

Hinzu käme, dass auch viele Studierende sich nicht aktiver in den Protest hätten einbringen können. „Ein Großteil unserer Kom­mi­li­to­n*in­nen muss arbeiten, manche haben Kinder und wir alle müssen irgendwie unsere 30 Creditpoints pro Semester zusammenkriegen“, erzählt Janssen. Zeitmangel, Sorge vor negativen Konsequenzen im Studium oder die Frage, welche Perspektiven der Protest überhaupt hätte, habe viele verunsichert.

Wichtig ist den beiden zu betonen, dass sie niemandem aus dem Fachbereich einen persönlichen Vorwurf machen. Alles sei in größere Strukturen und den allgemeinen Spar­zwang der Universität eingebettet. Fachbereichsrat und Fakultätsrat hätten zwar die formale Kompetenz, den Studiengang zu erhalten. Diese Gremien verfügten aber nicht über die materiellen Ressourcen, ihre Entscheidung zu tragen: Sie könnten die Kriminologie materiell gar nicht nachhaltig mit einer Professur ausstatten, ohne an anderer Stelle zu kürzen. Damit waren die Lehrenden am Ende gezwungen, ihren eigenen Studiengang aufzugeben.

Eine Rettung des Kriminologie-Masters wäre wohl nur noch durch ein Bekenntnis des Präsidiums der Universität möglich gewesen. Doch das ist schon seit Jahren auf Sparkurs zugunsten der Exzellenzcluster.

„Letztlich bleibt bei mir auch die Erkenntnis, dass an Universitäten, nicht nur in Hamburg, diese Art der Forschung eher am Rande steht und nicht zu den Kernaufgaben gezählt wird“, sagt Nils Zurawski, „im längst überhitzten Wettlauf um Exzellenz und andere quantitative Kennzahlen.“

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