Wagenknecht versus AfD: Verachtung des Proletariats

Eine Wagenknecht-Partei könnte die AfD schwächen und „Die Linke“ wieder aufblühen lassen. So zumindest hoffen das manche. Ist das realistisch?

Portrait

Für die einen ein rotes Tuch, für die anderen eine rote Hoffnung Foto: Steffen Roth/Agentur Focus (Ausschnitt)

Linke sind voller Krisenbewusstsein. Es gibt ja ein paar Begriffe, die sehr häufig im Zusammenhang mit dem Wort „Krise“ gebraucht werden, und der Begriff „Linke“ ist da top. Wenn die Linke stark ist, aber hinter ihren ambitionierten Zielen zurückbleibt, diskutiert sie „die Krise der Linken“. Ist sie schwach, dann erst recht. Man kommt problemlos durch ein linkes Leben, indem man von Debatte zu Debatte über die „Krise der Linken“ hüpft. Die herkömmliche Linksperson macht dennoch das Beste daraus. Die Krise, so hofft sie, könnte ja der Moment der Genesung sein.

Bertolt Brecht wollte einmal eine Zeitschrift gründen, deren erste Nummer „Die Begrüßung der Krise“ als Generalthema haben sollte. Leider war die Krise schneller, und es wurde nichts draus. In der Medizin markiert die Krisis die notwendige Verschärfung der Malaise, auf die, sofern der Sieche sie überlebt, die Heilung folgt. Im Notfall halten wir uns an Hölderlin: „Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch.“

Gefahr ist gerade genug. Die SPD in Umfragen bei 18 Prozent, die Grünen bei 14. Die AfD bei 23 Prozent. Die Partei „Die Linke“ im existenzbedrohenden Flügelkampf. In den Ost-Bundesländern könnten die Rechtsextremen stärkste Kraft werden. In Thüringen, wo nächstes Jahr gewählt wird, liegt die Höcke-AfD in einer Umfrage bei 32 Prozent, Bodo Ramelow, immerhin einziger Linke-Ministerpräsident, kommt mit seiner Partei dort auf 22 Prozent (Ramelow selbst hat persönliche Zustimmungswerte von 52 Prozent). Das Land rutscht.

Und wo wächst jetzt „das Rettende auch“?

Seit Längerem schon geht ein Gespenst durchs Land, das Gespenst einer Sahra-Wagenknecht-Partei. Ob es eine Wagenknecht-Partei je geben wird, steht in den Sternen, aber schon ist sie Objekt aller möglicher Projektionen. Bei der erwähnten Thüringen-Umfrage wurde auch das Antreten einer Wagenknecht-Partei abgefragt. Stünde sie auf den Zetteln, wäre sie stärkste Partei, würde von allen Seiten gewinnen, 25 Prozent einfahren und die AfD doch noch auf Platz zwei verweisen. Die Daten sind übrigens mit äußerster Vorsicht zu genießen. In einer anderen Umfrage erreicht eine Wagenknecht-Partei bundesweit nur 2 Prozent.

Kein Erfolgsmodell

Da werden auch progressive Linke und Linksliberale schwach: Wenn Wagenknecht und ihre Gefährten ein Parteiprojekt starteten, Rechts-Links, populistisch und ressentimentbewirtschaftend, und so die Rechtsextremen kleinhielten – warum nicht? Wenn es denn dem Antifaschismus dient? So wird Wagenknecht zur Projektionsfläche verzweifelter Hoffnungen.

Es gibt nicht wirklich internationale Exempel, die einen die Erfolgsaussichten einer solchen Partei beurteilen lassen. Sie wäre ökonomisch links, würde die Schutzfunktion des Staates für die „kleinen Leute“ betonen, auf linkspopulistische Art „die da unten“ gegen „die Eliten“ stellen. Die Wohlfahrtsstaats-Orientierung hätte starke Elemente eines „Wohlfahrtschauvinismus“ (Geld für „unsere deutschen Rentner“ statt für Flüchtlinge), und in allen gesellschaftspolitischen Fragen würde sie stark auf Kulturkämpfe setzen – und zwar auf der rechten, konservativen Seite der Barrikade. Gegen Gendern, für die „normale Familie“, gegen das Lesben-Schwulen-Regenbogen-Klimbim, gegen Öko und „Klimahysterie“.

Faktum ist jedenfalls: Üblicherweise gewinnen linke Parteien mit so einem Programm nicht. Sozialdemokratien sind heute eher dann erfolgreich, wenn sie ökonomisch akzentuiert nach links gehen und gesellschaftspolitisch moderat linksliberal sind. Radikalere Linksparteien wie Syriza oder Podemos waren in gesellschaftspolitischen Fragen nicht reaktionär, sondern ziemlich progressiv (Syriza) oder sehr progressiv (Podemos). Auch die Kommunistische Partei Österreichs, die in Salzburg unlängst 11 Prozent erreichte, ist primär eine sozialpolitische, linke „Kümmererpartei“, und in gesellschaftspolitischen Fragen maßvoll progressiv, also so etwas wie „gesellschaftsliberal mit Hausverstand“. Ihre Botschaft ist: Man diskriminiert keine Menschen. Inländer gegen Migranten auszuspielen, käme den dortigen Spitzenleuten nicht in den Sinn. Das einzige erfolgreiche Beispiel für eine Rinks-Lechts-Politik wäre die dänische Sozialdemokratie, die mit ihrer rigorosen Anti-Migrationspolitik das „Ausländerthema“ aus den Wahlkämpfen verdrängte. Man könnte auch noch Robert Ficos SMER-Partei in der Slowakei nennen, die aber korrupt und mafiös und heute rechtsautoritärer als Victor Orbán ist. Nicht das beste Vorbild jedenfalls.

Eine Wagenknecht-Partei, die der AfD „moderate“ Rechts-Wähler abjagen wollte, müsste wohl deutlich konservativer sein als die dänischen Sozialdemokraten. Sie müsste, wie Wagenknecht das sowieso längst tut, permanent die große Mehrzahl der Linken diskreditieren („abgehobene Lifestyle-Linke“), würde gegen „skurrile Minderheiten“, gegen Flüchtlinge mobil machen müssen, würde dumpfeste antiwestliche Ressentiments schüren, gegen politische Korrektheit polemisieren. Sie würde die identitätspolitischen Kulturkämpfe und Überbietungswettbewerbe weiter befeuern. Sie wäre eine Protestpartei, die einfach immer „dagegen“ ist – worum es auch gehen mag.

Friedrich Merz von links

Wagenknecht wäre dann so eine Art Friedrich Merz von links: Die Debatten würden noch mehr in Felder verschoben, die der AfD günstig sind. Alle Erfahrung zeigt: Wer nach rechts rückt, stärkt nicht die Linke, sondern das allgemeine rechte Klima.

Üblicherweise gewinnen linke Parteien mit so einem Programm nicht

Äußerst fraglich ist zudem, ob es überhaupt ein nennenswertes Milieu für solch ein Parteiprojekt gibt. Die Wagenknecht-Strategie geht implizit ja von einer männlichen, weißen Arbeiterklasse aus, die sich nicht mehr repräsentiert fühlt, weil sie ökonomisch links ist, aber in Wertefragen rechts, traditionell und konservativ und die gesellschaftlichen Modernisierungen wütend ablehnt. Das ist eine Art von Proletkult, der von Verachtung des Proletariats kaum mehr zu unterscheiden ist. Das Wählerpotential ist chronisch überschätzt, weil medial eine Art Karikatur des Proletariats kursiert, die real existierenden arbeitenden Klassen aber in jeder Hinsicht einfach vielgesichtiger sind. „Wenn linke Parteien in der Geschichte konservative Arbeiterinnen für sich gewannen, taten sie das nicht, indem sie sich kulturell konservative Programmpunkte aneigneten“, schreibt der Sozialwissenschaftler Carsten Braband im linken Magazin Jacobin.

Vor allem aber: Wer soll das Aktivistenmilieu einer solchen Partei sein? Linke, die immer schon gerne rechts gewesen wären? Rechte, die immer schon gerne linker gewesen wären? Das Potential der Engagierten einer solchen Partei wäre überschaubar. Dafür ist die Gefahr hoch, alle möglichen Spinner, Schrullis und seltsamen Vögel anzuziehen. Der Zyniker würde sagen: Viel Spaß mit denen beim Parteiaufbau.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Teile der 70er-Jahre-Linken, die sich der DKP-ähnlichen Linie von Wagenknecht und Co. näher fühlen als dem moderaten Linksliberalismus von SPD und Grünen und die auch mit dem Diversity-Pathos von Junglinken fremdeln, könnten sehr schnell enttäuscht werden. Die Heterogenität des Wählerpotentials würde einen Spagat erfordern, der kaum zu schaffen ist.

Bei Anhängern der Partei Die Linke breitet sich noch eine weitere Hoffnung aus: Wenn Wagenknecht und ihre Anhänger endlich weg sind, könnte die Partei wieder auf die Beine kommen. Der Wagenknecht-Flügel ist isoliert, das permanente Schlechtmachen der eigenen Genossinnen und Genossen und das parteischädigende Verhalten kam selbst bei jenen nicht gut an, die teilweise ihre Positionen teilen.

Wagenknecht weg, Problem weg?

Mit Wagenknechts Abgang wäre die Identitätskrise der Partei aber nicht gelöst. Sie besteht aus jungen Ba­sis­ak­ti­vis­t*in­nen in den Städten, aus Bewegungslinken mit ihren je sehr speziellen Hauptanliegen, aus der Reformergeneration der PDS-Ära und aus normalen Sozialdemokraten aus dem kleinstädtischen Bereich. Dazu Gewerkschafterinnen und Rentner in Westdeutschland, die die SPD verlassen haben. Sie ist immer noch Ost-Partei, den Unique Selling Point als Anwalt ostdeutscher Anliegen und Fürsprecher der gekränkten ostdeutschen Seele hat sie aber auch verloren. Wagenknecht weg, Problem weg? Wenn es nur so einfach wäre.

„Machen Sie es, Frau Wagenknecht!“, rief Severin Weiland im Spiegel gerade der möglichen, zaudernden Parteiführerin zu. Mit einer neuen Partei könnte sie „der AfD schaden und der Demokratie nutzen“.

Es ist natürlich nicht unmöglich. Aber die Wahrscheinlichkeit ist deutlich geringer, als manche hoffen.

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Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.

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