EU-Kommission fährt nicht zum Fußball

UKRAINE/EU Mitglieder der EU-Kommission wollen kein Fußballspiel in der Ukraine besuchen, verstehen das aber nicht als Boykott. Julia Timoschenkos Tochter kritisiert die Zwangsernährung ihrer Mutter

BRÜSSEL/BERLIN dapd | Die Mitglieder der EU-Kommission werden kein EM-Spiel in der Ukraine besuchen, wollen das aber aus Rücksicht auf Euro-Mitgastgeber Polen nicht als Boykott verstanden wissen. „Kein Kommissar wird zu irgendeinem Spiel in der Ukraine gehen“, sagte der Sprecher von Sportkommissarin Androulla Vassiliou am Freitag. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Minister hielten sich diese Entscheidung ausdrücklich offen: „Unter besonderer Berücksichtigung des Falls Timoschenko“ solle kurzfristig entschieden werden, teilte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter mit.

Unterdessen zeigte sich das Umfeld der inhaftierten früheren Ministerpräsidentin Julia Timoschenko einem Zeitungsbericht zufolge darüber alarmiert, dass die seit zwei Wochen hungerstreikende Politikerin zwangsernährt werden könnte. „Meine Befürchtung ist, dass man meine Mutter zwangsernährt und dass es dabei zu unvorhersehbaren Zwischenfällen kommt“, sagte Tochter Jewgenia Timoschenko der Nachrichtenagentur dapd. Timoschenkos Anwalt Sergej Wlasenko erklärte, Zwangsernährung werde von der Europäischen Menschenrechtskonvention als Folter angesehen. Mit einer solchen Aktion würde sich die ukrainische Regierung international noch weiter isolieren.

Der Vorstandsvorsitzende der Berliner Charité, Karl Max Einhäupl, reiste erneut in die Ukraine, um Timoschenko zu besuchen. Das verlautete am Freitag aus offiziellen Kreisen in Kiew. Der Besuch findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Sportkommissarin Vassiliou erklärte am Freitag als erstes Kabinettsmitglied nach Kommissionspräsident José Manuel Barroso offiziell, den Spielen in der Ukraine fernbleiben zu wollen – und signalisierte damit mehr als bloße Unterstützung für Barrosos eigenen Entschluss.

Von einem „Boykott“ wollte Vassilious Sprecher indes nicht reden, da dieser „das gesamte Turnier betreffen“ müsste – und das zweite Ausrichterland Polen von der Ankündigung ausdrücklich ausgenommen sei. Anders als die Ukraine, deren Umgang mit der Affäre Timoschenko sowie demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien für internationale Kritik sorgt, habe sich das Nachbarland „nichts zu schulden kommen lassen“. In ihrer Sitzung hätten die Kommissionsmitglieder nur vereinbart, „dass keiner von ihnen eine Einladung zu einem Spiel in der Ukraine annehmen wird“.

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