Warnstreik im Einzelhandel: Arbeitskampf gegen Lohnverlust

Angestellte des Einzel- und Großhandels machen in den Tarifverhandlungen Druck. Doch die kriselnde Branche hadert mit großzügigen Angeboten.

Mehrere hundert streikende mir gelben Westen versammeln sich auf dem Breitscheidplatz

Streikende bei der Kundgebung auf dem Breitscheidplatz am Dienstagmorgen Foto: Sebastian Drost/verdi

BERLIN taz | Statt shoppender Tourist:innen, die normalerweise das Bild des Breitscheidplatzes in Charlottenburg bestimmen, ist der Platz vor der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche am Dienstagmorgen mit Hunderten Menschen in gelben Warnwesten gefüllt. „Ihr seid es, die den stationären Einzelhandel in dieser Stadt am Laufen haltet!“, ruft Gewerkschaftsfunktionärin Conny Weißbach auf der Bühne der Menge zu. Die antwortet mit einem fast schon ohrenbetäubenden Trillerpfeifenkonzert.

Nach einem Warnstreik Ende Juli ist dies die zweite und mit drei Tagen längste Arbeitsniederlegung, zu der die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in den laufenden Tarifverhandlungen aufruft. Gefolgt sind dem Aufruf nach Verdi-Angaben 1.600 Beschäftigte im Einzel- und Großhandel in Berlin und Brandenburg. Angesichts der Menschenmenge auf dem Platz dürfte nach taz-Schätzungen ein Großteil der Streikenden auch bei der Kundgebung erschienen sein.

Beteiligt sind unter anderem Angestellte von Kaufland, Edeka, H&M, des KaDeWe und Galeria Karstadt-Kaufhof. Schließen muss an den drei Streiktagen keine Filiale, dennoch werden etliche Geschäfte mit deutlich weniger Personal betrieben. Mit dem Warnstreik will Verdi den Druck für den kommenden Verhandlungstermin am Freitag für einen Flächentarifvertrag mit dem Handelsverband Berlin-Brandenburg erhöhen. Bislang bot die Arbeitgeberseite eine Lohnerhöhung von 90 Cent pro Stunde, was einer Steigerung von 5,3 Prozent entspricht.

„Angesichts der seit zwei Jahren anhaltenden Inflation bedeutet das Angebot einen deutlichen Reallohnverlust“, kritisiert Weißbach im Gespräch mit der taz. Im Schnitt entspreche das 203 Euro weniger pro Monat. „Wir brauchen aber einen Reallohnzuwachs.“ Um diesen zu erzielen, fordert Verdi eine Lohnerhöhung von 2,50 Euro pro Stunde.

Verband hält Forderungen für überzogen

Da in der Branche Teilzeitbeschäftigungen die Regel seien, spürten sie und ihre Kol­le­g:in­nen die Auswirkungen der Inflation besonders deutlich, berichtet Ina, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will, der taz. Ina arbeitet im Kaufland Marzahn und streikt zusammen mit 19 Kol­le­g:in­nen. Neben der finanziellen Belastung kämen sich durch Personalmangel verschlechternde Arbeitsbedingungen dazu. „Viele gute, junge Leute sind gegangen und wurden auch nicht ersetzt“, sagt Ina. „Es ist nicht mehr attraktiv, im Handel zu arbeiten.“

Der Handelsverband selbst hält die Forderungen Verdis für überzogen und weist auf die schwierige Situation hin, in der sich der Einzelhandel seit Corona und der Ukraine­krise befindet. „Die Lage in den Betrieben ist schlecht“, sagt der Geschäftsführer des Handelsverbands, Nils Busch-Petersen, der taz am Telefon. „Noch nie hatten wir so ein schlechtes Konsumklima in Deutschland.“

Betroffen sei nicht nur der stationäre Einzelhandel wie Textilunternehmen, sondern auch der Lebensmittelhandel, da viele Kun­d:in­nen zu günstigeren Produkten greifen würden. „Es wird zwar immer noch die gleiche Menge Nudeln gekauft, dafür aber weniger Geld ausgegeben“, erklärt Busch-Petersen.

Für Gewerkschaftssekretärin Weißbach sind die Argumente der Arbeitgeberseite nur wenig überzeugend. Sie verweist auf die Umsatzsteigerungen, die die Branche selbst in den Krisenjahren erzielen konnte. „Die Konzerne sind immer schnell darin, die Preise für die Verbraucher anzuziehen, geben die Gewinne aber nicht an die Mit­ar­bei­te­r:in­nen weiter“, kritisiert Weißbach.

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